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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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aber viel mehr als sie könne er sicher auch noch nicht sagen. Und er dürfe auch nicht, weil Benno kein Angehöriger sei. Sie dürfe das eigentlich erst recht nicht, aber sie wisse, dass Daniel und er zusammengehörten. Es dauere seine Zeit, bis das Haloperidol überhaupt wirke, bis er eingestellt sei, und dann erst recht, bis er aus der Psychose herauskomme. Wochen, sagte sie, eher Wochen als Tage. Wenn alles gut geht.
    »War seine Mutter hier?«
    »Ja. Er hat total verstört auf sie reagiert. Was ist mit den beiden?«
    »Sie haben Krach. Seine Mutter ist okay. Er hat nur Krach mit ihr.«
    »Rabenhorst hat sie gebeten, nicht mehr zu kommen. Erst wenn Daniel das will, darf sie ihn besuchen.«
    »Sie liebt ihn über alles. Er ist derjenige, der sie nicht ertragen kann. Sie macht überhaupt nichts falsch.«
    Christine sah Benno interessiert, irgendwie forschend an, er kam sich examiniert vor und fragte: »Was ist?«
    »Es klingt fast so, als würdest du ihm seine Mutter neiden.«
    »Ich neide ihm gar nichts. Was denn? Er behandelt sie schlecht. Sie tut mir leid.«
    Wieder stand sie eine Zeit lang nur da und sah Benno an. Aber es war ihm nicht unangenehm. Eigentlich mag er es nicht, angestarrt zu werden – er wird verlegen –, aber jetzt schaute er einfach zurück. Er sah ihr dabei zu, wie sie ihn ansah.
    »Ihr seid ein bisschen wie Zwillinge, oder?«
    »Nicht nur ein bisschen«, sagte Benno, »wir machen Musik zusammen.«
    »Ich weiß, ich hab zwei CDs.«
    Sie sah auf ihre Uhr und verabschiedete sich. Er fühlte sich getröstet. Und er freute sich darüber, dass sie die Musik mochte. Wenn sie zwei Alben hatte, musste sie sie mögen. Eines kann man geschenkt bekommen. Zwei hat man, weil man will. Sie würde auf Daniel aufpassen. Sie würde ihm helfen. Und Benno konnte sie wiedersehen.
    —
    Während der nächsten Tage war er damit beschäftigt, das Haus wieder in Ordnung zu bringen, den Studiotermin für das neue Album abzusagen und eine Reihe von Konzerten in den Herbst zu verlegen. Er musste mit Arno, dem Manager, eine Sprachregelung abstimmen, die Daniels Zusammenbruch als rein körperliche Schwäche hinstellte, damit sich der Szenetratsch in Grenzen hielte. Offiziell legten Tanner & Krantz eine kreative Pause ein, um das neue Album in Ruhe vorzubereiten. Es dauerte drei Tage, bis die Elektrik im Haus wieder funktionierte. Bis dahin ging er jeden Abend zur Telefonzelle und rief Christine an.
    Sie nahm ihm die Angst, die ihn in jeder stillen Sekunde überfiel, dass Daniel verrückt bleiben könnte, dass er für immer entmündigt, unter der Aufsicht von irgendwem, seiner Mutter zum Beispiel, ein Leben als Gemüse führen müsste, als einer, dem niemand zuhört, dessen Willensäußerung niemand ernst nimmt, dem man alles vorschreibt, weil er selbst nichts mehr im Griff hat.
    »Das geht vorbei«, sagte sie. »Oft kommt so was nur einmal, als eine Art Erschöpfungszusammenbruch. Das ist vor allem bei jungen Leuten so.«
    Sie waren beide fünfundzwanzig damals. Daniel im September geboren, Benno im Februar.
    »Und er macht schon Fortschritte.«
    Am Anfang sei er allen mit Ablehnung und Misstrauen begegnet, inzwischen bezaubere er seine Mitpatienten mit Charme und allerlei witzigen Bemerkungen. Allerdings nur immer dann, wenn die Wirkung des Medikaments nachließ. Dr. Rabenhorst reduziere schon die Dosis und habe in der letzten Besprechung gemeint, in zwei, drei Wochen könne vielleicht schon auf Librium oder Ähnliches umgestiegen werden. »Hoffentlich bald«, sagte sie, »Haldol ist auf Dauer furchtbar.«
    »Und warum gibt man das dann?«
    »Es fehlt die Alternative. Man muss es einsetzen, solange nichts Besseres da ist. Es ist auch ein Segen. Mit Kehrseite.«
    —
    Irgendwann stand der Vermieter vor der Tür, mit rotem Gesicht, als habe er den ganzen Weg hierher extra hyperventiliert, um sich zu rüsten für die Tirade, die ansatzlos auf Benno einprasselte und von der er immerhin so viel verstand, dass der Elektriker die Verwüstungen geschildert haben musste und der Vermieter auf seinem Recht auf fristlose Kündigung bestand. Bis zum Monatsende sollten sie draußen sein, sonst werde er, der Vermieter, andere Saiten aufziehen. Er schnaufte davon, als er abgelassen hatte, was nötig war, um diese Vandalen loszuwerden.
    Der Anwalt, den Arno gleich nach Bennos Anruf konsultierte, sah keine Chance, dagegen vorzugehen, aber es gelang ihm, zwei Monate Frist auszuhandeln, in der Benno nach etwas Neuem suchen konnte. Das war
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