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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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den Gang zum Bäcker auftragen. Wenn sie da ist, wird er oben duschen und die Snacks machen. Er fühlt sich schmutzig. Nicht in der Form, seine Gäste zu empfangen.
    —
    Die ersten drei muss er vertrösten. Bis zehn, halb elf wollen die meisten frühstücken. Zur Entschädigung spendiert er jedem einen Orangensaft und bittet um Geduld. Und betet, dass Souad sich beeilt.
    Sie ist eine Schönheit. Und sie ist gut. Noch im wildesten Trubel wirkt sie gelassen, ohne dass jemand auf die Idee käme, sie beeile sich nicht. Sie stammt aus Algerien und versteht es perfekt, die Balance zwischen Freundlichkeit und Kühle zu halten. Jeder, der ihretwegen kommt, und das sind viele, glaubt, sie freue sich, ihn zu sehen, aber keiner, der seine fünf Sinne beisammen hat, kann sich Chancen ausrechnen, bei ihr zu landen. Benno hat einiges von ihr gelernt.
    Leider beklaut sie ihn.
    Sie verschwindet gelegentlich mit der Kellnerbörse aufs Klo, immer dann, wenn sehr viel los ist. Er kennt den Trick von früher. In Arkansas hat er sich das Greyhound-Ticket mit Kellnern verdient, als er eine Zeit lang nicht an sein Konto kam. Er lässt sie. Aber ihr Gehalt hat er nicht erhöht, als er Valerios erhöht hat. Der ist ehrlich. Hoffentlich verplappert er sich nie, sonst kann sie behaupten, Benno diskriminiere sie. Dabei hofft er, dass sie ihm lang erhalten bleiben möge. Er verdankt ihr eine Menge verträumter, beschwingter und verliebter Gäste.
    Als sie endlich auftaucht, ist die Dämmerstimmung im Café noch intensiver als sonst, weil ein Berliner Umzugswagen vor der Tür steht. Daniel und Christine ziehen in den zweiten Stock.
    —
    Die kleine Wohnung sieht noch fast genauso aus wie kurz nach Bennos Einzug vor zwei Jahren. Im Schlafzimmer eine Matratze, eine Kleiderstange mit Regal darunter, daran und darin sechs weiße Hemden, drei schwarze Hosen und ein Paar Jeans, Wäsche, Socken, Schuhe, braun und schwarz, im Wohnzimmer ein Sofa, zwei Sessel, ein kleiner runder Tisch, die Strat, der Verstärker, ein kleiner Fernseher, in der Küche ein riesiger Kühlschrank, Spüle, Arbeitsplatte, Geschirrkommode. Das reicht. Kein Bild an irgendeiner Wand, keine Stereoanlage, kein Buch.
    Wenn er hier ist, sitzt er vor dem Fernseher und spielt Gitarre dazu. Er begleitet und ergänzt die Filmmusik oder klimpert zu Nachrichten, Talkshows, Comedysendungen. Ihm ist egal, was läuft, und egal, was er spielt. Er hört sich nicht zu. Er spielt, weil ihn das beruhigt und in eine Art Schwebezustand bringt, bis er müde genug ist. Jeden Abend.
    Jetzt, unter der Dusche, würde er am liebsten stehen bleiben, einfach nicht aufhören, nicht sauber werden, so lange, bis er draußen niemandem mehr begegnen kann. Aber vorher wäre vermutlich seine Haut von ihm abgewaschen – es geht nicht, er muss raus, natürlich muss er raus, ins Café und in einen Tag, der wie jeder andere sein wird.
    Mit dem einzigen Unterschied, dass Christine heute auftauchen muss und er Angst davor hat, sie wiederzusehen. Wenn die Möbelpacker da sind, wird sie auch da sein. Um zu dirigieren. Irgendwann im Laufe des Tages wird sie vor ihm stehen. Nach vierzehn Jahren. Und er hat keine Ahnung, wie er sich dann fühlen wird, ob er sie überhaupt noch erkennt, vielleicht ist sie inzwischen sportgestählt und hennarot, mit praktischer Frisur und strassbestickten Jeans, vielleicht ist sie eine Spießerin geworden oder auf diese gewisse Art fade, wie manche Menschen werden, wenn all ihre Ziele erreicht sind und sie begreifen, dass es nur noch ums Festhalten geht und alles, was man festhält, weniger wird, wenn die innere Stimme verklungen ist, die sie angetrieben, angefeuert und angefleht hat, etwas zu machen aus ihrem Leben, jemand zu werden, alles Krumme und Kleinliche abzuwerfen, um sich groß genug zu erschaffen, dass es reicht für den Blick in den Spiegel.
    Am meisten Angst hat er davor, dass ihre Gegenwart ihn wieder zurückwerfen könnte. An den Anfang. Oder das Ende. Den Zustand jedenfalls, in dem er sich vor vierzehn Jahren befunden hat.
    —
    Sie war die Art Frau, in der man nicht mehr das kleine Mädchen sieht, das sie mal gewesen sein musste, die Art, deren Anblick wehtut. Keine augenfällige Schönheit, keine, die bei einer Misswahl auftreten oder gar reüssieren würde, und nicht die Sorte Titelbildgesicht, von der simple Gemüter träumen, aber wer das Wort Anmut schon mal gehört hatte, wusste, wenn er sie sah, was es bedeutete. Ihre unordentlich frisierten dunklen Locken verstärkten
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