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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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schienen sogar das Blinzeln zu vermeiden, um keine kostbare Zehntelsekunde von seinem Anblick zu versäumen. Benno ignorierten sie. Er war nur der Gitarrist von Gott. Es gab ihm einen Stich, als er irgendwann bemerkte, dass auch Christine nur Augen für Daniel hatte.
    —
    Die Wohnung ist wirklich schön. Benno, der sich in Amerika keinen Blick dafür antrainieren konnte, hat seit der Zeit im grünen Haus nicht mehr über den Unterschied von schön und hässlich bei Räumen oder Einrichtungen nachgedacht. Auf diese Idee kommt man nicht, wenn man in Motels übernachtet oder in einem Trailer wohnt. Sein ästhetisches Empfinden beschränkt sich auf Musik, die Schönheit von Dingen ist nichts, was ihn bewegt. Normalerweise nicht. Aber jetzt, in diesem Bad, zwei Songs später, beide erträglich, Radio Gaga von Queen und Hotel California von den Eagles, sieht er sich um und spürt, dass hier eine große Ruhe herrscht. Jenseits der Umzugskartons, Plastiktüten und Werkzeuge, die überall stehen, lehnen und liegen, ist Ruhe. Dieser Innenarchitekt muss sich abgestimmt haben mit Christine. Das alles hier passt zu ihr. Ob es zu Daniel passt, weiß ich nicht, denkt er, ich kenne ihn nicht mehr. Er ist ein anderer Mensch geworden. Einer, der Anzüge trägt, ein Mensch mit einem Haarschnitt. Ein Kreditkartenmann. Andere Welt.
    »Soll ich das Radio ausmachen?« Christine steht wieder in der Tür.
    »Wenn du es ohne aushältst, ja.«
    Inzwischen läuft Tainted Love , und es kann nicht mehr lange dauern, bis auch so was wie Do you really want to hurt me kommt.
    Es gibt noch zwei Lampen für ihn, beide so prächtig und skurril wie die im Bad. Eine kommt ins Klo – er muss Tisch und Stuhl über die Schüssel stellen, um sie anzuschließen, sollte sie je runterfallen, dann kann man sie mit der Spülung entsorgen, oder sie verletzt jemanden, der hier sitzt und träumt –, die andere kommt ins Wohnzimmer über den Esstisch. Ihre Liebe zu abgefahrenen Lampen hat Christine nicht verloren.
    Wieso glaube ich eigentlich, sie noch zu kennen, denkt er, und Daniel nicht mehr? Nur weil ich in den letzten zwölf Jahren immer wieder an sie gedacht habe? Vielleicht. An Daniel hat er nicht gedacht. Oder nur selten. Oder, das ist wohl das Wahrscheinlichste, er wusste nicht, dass er an Daniel dachte, weil es zwischen Daniel und ihm keine klare Grenze gab. Wenn er sich erinnerte, an sich selbst, wie er früher war, was er getan, gelassen, gewollt oder vermisst hatte, dann dachte er Daniel automatisch mit.
    —
    Er hatte seine Gitarren nicht mitgenommen, hatte Daniel eine Notiz auf den Tisch gelegt, mit der Bitte, sie zu verkaufen und das Geld auf Bennos Konto einzuzahlen. Viel mehr stand nicht auf dem Zettel, nur dass er weg sei, dass es ihm leidtue, dass er Daniel viel Glück wünsche und ihn bitte, ihm nicht böse zu sein. Dann war er von Frankfurt aus über Atlanta nach New York geflogen, hatte sich dort einen Wagen gemietet und war durch die Staaten, zuerst nach Süden, dann nach Westen gefahren.
    Und schon kurz hinter Washington hatte er festgestellt, dass er nichts mit sich anzufangen wusste. Eine Stadt nach der anderen anzufahren, ein Motel in den immer gleichen Stadtrandgebieten mit ihren Tankstellen, Supermärkten, Restaurants und Möbelhäusern zu suchen, einchecken, dann downtown fahren, dort nicht wissen, was er tun soll, raus zum Motel, irgendwas essen, fernsehen, schlafen, weiterfahren. Er langweilte sich. Er fuhr durch Filmbilder und suchte immer öfter Countrysender im Autoradio, bewegte sich um der Bewegung willen von einem Ort zum nächsten, und das Einzige, was ihm daran gefiel: Er war niemand. Nirgendwo. Der Nowhere Man. Der Nighthawk. Der mit einem Glas Bourbon in der Ecke sitzt und nicht dazugehört.
    Bald fing er an, nach Musikläden zu suchen, in denen er stundenlang die verschiedensten Gitarren ausprobierte, nie akustische, immer elektrische, und immer öfter griff er nach einer Stratocaster, denn die klang auch trocken gut, und er fand sich auf dem Hals zurecht.
    Und in Raleigh kaufte er eine. Sie war rot, sehr gut verarbeitet, klang phantastisch über den kleinen dazugekauften Miniverstärker, den er im Auto an den Zigarettenanzünder anschließen konnte, und er spielte sie auf Parkplätzen, wenn er dort alleine war, oder nachts im Motel, so leise, dass kein Zimmernachbar gestört wurde. Er musste neu anfangen. Eine E-Gitarre ist ein anderes Instrument. Man fasst sie viel vorsichtiger an als eine akustische. Aber auf einmal
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