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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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war er wieder jemand. Ein Musiker.
    —
    Die Countrysongs im Autoradio hatten ihm Lust gemacht, nach Nashville zu fahren und sich in den Clubs dort umzuhören, und er begriff, dass er unterwegs wohl meist die besseren Sender erwischt hatte, denn der Kitsch, der unter dem Rubrum Country firmiert und das gesamte Genre vergiftet, überschwemmte ihn erst hier – er wäre wohl angeekelt aus der Stadt geflohen, hätte er nicht die guten Songs noch im Ohr gehabt: New Country. Singer-Song-writer mit Bluegrass- und rockigen Einflüssen.
    Bald kannte er ein paar Clubs, in denen ihm die Musik gefiel, und er ging fast jeden Abend hin. Sagte ihm die Band im einen nicht zu, dann zog er um zum nächsten. Weil man oft nicht rauchen durfte, trank er ein bisschen mehr. Er kaufte sich ein Wohnmobil, um weiter nach Westen zu fahren, aber er blieb fast drei Monate. Tagsüber spielte er Gitarre für sich selbst, abends streunte er durch die Musikclubs, und nachts war er zu betrunken, um irgendwas an diesem Leben falsch zu finden. Geldsorgen hatte er keine. Geld gab es auf der Bank.
    —
    »Hast du nicht langsam mal Hunger?«, fragt Christine irgendwann. Inzwischen packen sie Bücher aus. Sie liegen schon alphabetisiert in den Kartons, Benno reicht sie ihr, und sie stapelt sie so, dass man alles in einem nächsten Schritt nur noch der Reihe nach in die Regale stellen muss.
    »Doch«, sagt er.
    Er führt sie zu Brinkmann. Das Lokal ist klein, wenige Tische, schlanke Karte, gute Weine, von deren Qualität er sich allerdings nur hat vorschwärmen lassen, er rührt keinen an. Er trinkt Wasser.
    Sie sind nicht sehr gesprächig, aber es fühlt sich nicht peinlich oder zäh an. Christine kennt ihn so, er war schon früher wortkarg und einsilbig, es fällt ihm nicht ein, die Ruhe mit dem Absondern von Text zu stören. Sie essen.
    »Ich freu mich drauf, wieder hier zu leben«, sagt sie irgendwann. »Die Stadt ist viel schöner geworden.«
    »Ja«, sagt er, »nicht mehr so verdruckst wie früher.«
    »So ein Lokal wie das hier hätte es damals nicht gegeben. Klein, gut und lässig und nicht mal verrückt teuer.«
    »Vielleicht hätten wir’s auch bloß nicht entdeckt.«
    »Stimmt. Wir hätten nur nach einer Pizzeria gesucht«, sagt sie und lächelt.
    Sie sind die letzten Gäste. Das hat sich in dieser Stadt nicht geändert, hier ist noch immer früh Schluss. Nur eine Handvoll Lokale hat länger als bis zwölf geöffnet, und nur zwei davon haben eine Küche. Und die taugt nichts, weil die Konkurrenz fehlt.
    Benno winkt der Bedienung und will bezahlen, aber Christine besteht darauf, ihn einzuladen. Bevor sie lang und zäh darum streiten, gibt er klein bei und lässt sie gewähren.
    »Reicht dir das Leben, das du jetzt führst? Bist du zufrieden?«, fragt sie.
    »Ja«, sagt er.
    »Woran merkst du das?«
    »Daran, dass ich mir die Frage nicht stelle.«
    »Das ist männlich«, sagt sie lächelnd, aber mit einer Spur Herablassung, die er in ihrer Stimme zu hören glaubt, »man beachtet seine Gefühle nicht.«
    »Was gibt’s da zu beachten? Man hat sie. Wie soll man sie ignorieren. Das geht doch gar nicht.«
    »Aber Männer tun das andauernd.«
    »Woher weißt du das?«
    »Sie reden nie darüber.«
    »Das ist nicht dasselbe.«
    »Und sie lassen sie nie raus.«
    »Was sollen Gefühle draußen? Das Leben ist doch kein Theater.«
    »Männlich«, sagt sie wieder. Es klingt triumphierend, als hätte sie ihn bei einer Schwäche ertappt. Vielleicht war sie zu lange in Berlin gewesen. Vor vierzehn Jahren schien sie ihm nicht so mit Etiketten um sich zu werfen. Sie hatte etwas Fragendes, Suchendes gehabt damals. Man fühlte sich interessant in ihrer Gegenwart. Auch ohne zu labern.
    Vielleicht hat das auch nichts mit Berlin zu tun. Vielleicht ist es einfach das Älterwerden. Feste Kategorien für alles. Hauptsache aufgeräumt. Aber was soll’s. Es ist ihm egal. Wenn sie glaubt, sich auszukennen, soll sie. Nein, es ist ihm nicht egal. Er will nicht als »Mann«, was auch immer sie sich darunter vorstellen mag, vor ihr sitzen, sondern als »Ich«. Eine Variante sein wenigstens. Nicht der Prototyp.
    »Hab ich dich geärgert?«, fragt sie draußen, nachdem sie ein Stück schweigend gegangen sind.
    »Nein.«
    Auf solche Fragen muss man lügen. Sonst versucht man, zu erklären, was nicht zu erklären ist. Oder nicht verstanden werden kann.
    Sie verabschieden sich im Hausflur. Christine küsst ihn auf die Wange und sagt: »Danke fürs Helfen.« Er sagt: »Gern getan«,
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