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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica
Autoren: Oliver Graute
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welche.“
    „Menschenfrau? Wer um alles in der Welt seid ihr, und was für eine Endzeit soll das sein?“ Lâle dämmerte, dass ihr wieder einmal die Situation entglitt. Sie hatte sich fest vorgenommen, dem Wanderer bei einem nächsten Treffen die Stirn zu bieten. Sie hatte im Kopf alles immer wieder durchgespielt. Nur mit einem hatte sie nicht gerechnet. Dass er nicht allein kommen würde.
    Mit einem fast ironischen Unterton antwortete diesmal die einzige Frau im Gefolge des Wanderers. „Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Ich hatte mir mehr von euch er...“
    Der Wanderer schnitt der Frau mit einer beinahe unmerklichen Geste das Wort ab, indem er zwei Finger hob. Augenblicklich verstummte die kühle Schönheit, und Lâles Blick pendelte zwischen ihr und dem Wanderer hin und her, als könne sie die feinen Nuancen der Beziehung der beiden anhand dieser Reaktion ergründen. Es war unerhört, aber Lâle spürte Eifersucht in sich. Dies war die letzte Reaktion, die sie erwartet hatte. Sie kannte die Frau nicht einmal und verabscheute den Wanderer. Wie konnte da so etwas passieren?
    „Ich will versuchen“, begann der Wanderer plötzlich, „dir zu erklären, was du nicht verstehst. Es ist an der Zeit.“ Für einen kurzen Augenblick zögerte der Mann, als wüsste er nicht, ob es die richtige Entscheidung sei. Doch dann sah er Lâle tief in die Augen, fing ihren Blick ein, der voller Verwirrung, Wut und Angst war. „Ich bin kein Mensch. Genauso wenig wie meine Gefährten. Wir sind schon immer da. Wir wachen über das Gefängnis, in das vor Äonen der, den ihr den Widersacher nennt, gesperrt wurde. Wir sind die wahren Engel des Herrn.“

    Midael stand auf der Terrasse seiner Gemächer und blickte in die Ferne, als könne er am Horizont die Lösung für all das finden, was ihn im Hier und Jetzt beschäftigte. Der Engel war Oberhaupt des Ordens der Samaeliten. Fünf Jahre zuvor waren er und seine Geschwister durch das Brandland um Korsika gekommen, um der Menschheit in höchster Not zu helfen. Was sie vorgefunden hatten, war für die meisten von Midaels Geschwistern und nicht zuletzt für ihn selbst eine herbe Enttäuschung gewesen. Die Welt um sie hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Die Grundfesten angelitischer Dogmen waren über den Haufen geworfen, und überall herrschten Gier, Selbstsucht und Vetternwirtschaft.
    Kurz nach seiner Ankunft in der heiligen Stadt Roma Æterna hatte Midael sich zum Oberhaupt seines Ordens ausrufen lassen. Eine Ungeheuerlichkeit in den Augen vieler. Noch nie hatte ein Engel diesen Posten innegehabt. Obwohl es eigentlich so naheliegend war, wie er fand. Vielleicht lag es daran, dass er im Gegensatz zu seinen viel jüngeren Geschwistern in den anderen Orden ein erwachsener Engel war. Das Konsistorium hatte im Auftrag des Pontifex Maximus Petrus Secundus zähneknirschend eingewilligt. Zu bedeutend für das Wohl und Wehe der angelitischen Glaubensgemeinschaft war das Ereignis, als die bereits totgeglaubten Samaeliten in den Schoß der heiligen Angelitischen Kirche zurückkehrten. Ein Trugschluss, wie viele später hatten feststellen müssen. Die Rückkehr seines Ordens hatte viel Aufsehen erregt, und nicht zuletzt sein eigener energischer Einsatz für die Sache hatte vieles in der Welt auf den Kopf gestellt. Er hatte sich Feinde gemacht, mächtige Feinde, und dieser Umstand hätte ihn fünf Jahre zuvor beinahe das Leben gekostet. Man hatte ihn in eine Falle gelockt. Eine Schar von Engeln, die vom rechten Pfad abgekommen waren, hatten ihn im Auftrag Massimo di Ternis, seines menschlichen Priors, in einen Hinterhalt gelockt, aus dem es kein Entrinnen hätte geben dürfen. Doch die lange Zeit der Abwesenheit der Samaeliten und die damit einhergehende Unwissenheit seiner Peiniger hatten ihm in letzter Sekunde das Leben gerettet. Dank seiner gottgegebenen Mächte hatte er die Absichten der Attentäter durchschaut und entsprechend reagiert. Keiner hatte überlebt. Auch ihn hatte die anschließende Detonation verkrüppelt. Hätte Ab Haakon von Melhus, das Oberhaupt des Ordens der Ragueliten, ihn nicht mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, gerettet, so wäre er bereits wieder zum Schöpfer aufgefahren. Nur die Rekonstruktion seiner Schwingen hatte Midael bis heute zurückgewiesen. Es erschien ihm falsch, mit den Mitteln der verderbten Technologie, deren größter Feind sie alle sein sollten, in altem Glanz zu erstrahlen. Haakon hatte ihn verstanden, wenn
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