Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
mehr so scharf, wie es sein sollte, reichte für ihre Zwecke aber aus. Mit einem Gefühl tiefen Bedauerns – es würde Jahre dauern, bis es nachgewachsen war – schnitt sie ihr Haar zuerst kleinfingerkurz und rasierte sich anschließend den Schädel vollkommen kahl. Sorgsam hob sie die abgeschnittenen Haare bis auf das allerletzte auf und verstaute sie in ihrem Beutel, bevor sie einen ihrer Koffer öffnete und ein einfaches, lang fallendes Kleid und dazu passende Sandalen wählte. Das Kleid war hochgeschlossen, sodass sie die Kette mit ihrem wertvollen Anhänger darunter verbergen konnte, und die Sandalen waren für die Jahreszeit – vor allem in diesem Land – zwar viel zu dünn, für ihre Zwecke jedoch eindeutig besser geeignet als die hochhackigen Stiefel, die im Moment bei den Frauen hier in Mode waren.
    Bevor sie das Zimmer verließ, verbarg sie ihren nunmehr kahlen Schädel unter einem kunstvoll gewickelten Turban von dunkelroter Farbe und nahm noch ihren Reservemantel aus dem Koffer, den sie sich allerdings nur lose über den linken Arm hängte. Ganz kurz überlegte sie, eine Waffe mitzunehmen, entschied sich aber dann dagegen. Sie wollte schließlich nicht in den Krieg ziehen, sondern nur nach Isis suchen.
    Auch wenn ihr Mrs Walshs Reaktion auf die Adresse vielleicht Anlass zu der einen oder anderen Überlegung gegeben hatte.
    Sie hatte noch Zeit, bis ihr Fahrer kam, verspürte aber wenig Lust, allein in ihrem Zimmer zu bleiben und ging wieder nach unten. Das Haus war noch immer so still wie bei ihrer Ankunft.
    Sie war im Moment entweder tatsächlich der einzige Gast, oder die übrigen Pensionsgäste waren noch in ihren Angelegenheiten unterwegs und kamen später. Ihr sollte es recht sein.
    Im Kamin prasselte ein behagliches Feuer, und sie hörte die Zimmerwirtin im hinteren Teil des Hauses hantieren, ging aber nicht sofort zu ihr, sondern suchte zuvor die Latrine auf, die sich in einem Holzverschlag im Innenhof der Pension befand. Sie musste nicht danach fragen – der Gestank wies ihr den Weg. Er war erbärmlich, und er wurde noch schlimmer, als sie die Tür öffnete und in den winzigen Verschlag trat.
    Heftig schluckend, um die Übelkeit niederzukämpfen, die aus ihrem Magen emporsteigen wollte, warf sie ihr abgeschnittenes Haar in den kreisrunden Ausschnitt in der hölzernen Sitzfläche und fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso sich die Abendländer eigentlich für die überlegene Kultur hielten oder jemals hatten halten können, wo sie doch offensichtlich nicht einmal wussten, dass eine Handvoll Kalk ausreichte, unangenehme Gerüche zu binden.
    Als sie ins Haus zurückkehrte, prasselte das Feuer im Kamin höher, und Mrs Walsh hatte zwei winzige Tässchen und eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Tee auf den Schachtisch gestellt und wartete offenbar bereits auf sie.
    Bast sah flüchtig auf die große Standuhr. Sie hatte noch etwas Zeit, bis die bestellte Droschke kam, und nichts dagegen, noch ein wenig zu plaudern. Noch bevor Mrs Walsh ihr einladend zuwinken konnte, nahm sie von sich aus Platz und legte den Mantel neben sich auf den Boden.
    »Ich hoffe, ich wirke nicht allzu aufdringlich«, sagte Mrs Walsh, während sie Tee in eine der zierlichen Tassen goss und sie dann über den Tisch hinweg in ihre Richtung schob. »Aber ich kam nicht umhin, die Zeit zu erfahren, zu der Sie den Wagen bestellt haben, und als ich gerade gehört habe, dass Sie die Treppe herunterkommen …«
    »Schon gut«, unterbrach Bast sie. »Ich bin völlig fremd in dieser Stadt und ganz froh, überhaupt mit jemandem reden zu können.«
    »Sie sind das erste Mal in England?«, fragte Mrs Walsh. Bast nickte, und sie nippte an ihrem Tee und fuhr fort: »Dafür sprechen Sie unsere Sprache ganz ausgezeichnet, wenn ich das sagen darf.«
    »Danke.« Bast lächelte über dieses Kompliment, von dem sie spürte, dass es ehrlich gemeint war. Aber natürlich verstand sie auch die Frage, die sich dahinter verbarg. »Es befinden sich genügend Mitglieder des britischen Empire in meiner Heimat«, sagte sie. »Außerdem ist ihre Sprache recht einfach zu lernen. Ganz im Gegensatz zu manchen Dialekten meiner Heimat.«
    »Erzählen Sie das den Kindern in unseren Schulen!«, erwiderte Mrs Walsh amüsiert. »Ich bin sicher, sie teilen Ihre Meinung nicht unbedingt.« Sie nippte an ihrem Tee, während sie das sagte, aber Bast entging natürlich nicht, dass sie sie dabei über den Rand ihrer zierlichen Tasse weiter sehr aufmerksam musterte.
    »Immerhin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher