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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille
Autoren: Petra Durst-Benning
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Tischchen stand eine Vase mit einem verstaubten Strohblumenstrauß. Daneben lag ein Stapel Bücher, der aussah, als hätte ihn erst unlängst jemand in der Hand gehabt – wäre da nicht die dicke Staubschicht gewesen. An der Wand hinter der Sitzgruppe hing – aufgereiht wie auf einer Perlenschnur – eine ganzeSammlung Schwarzwalduhren. Darunter stapelten sich aufgerollte Teppiche oder Decken, was es genau war, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen.
    Antonia war plötzlich so seltsam zumute, dass sie sich mit einer Hand an dem Tresen festhalten musste. Es dauerte einen Moment, bis sie darauf kam, was dieses Gefühl ausgelöst hatte. Es war nicht die Tatsache, dass sie dieses Haus nach so langer Zeit wieder betreten hatte. Es war auch nicht die Aufregung, weil dieser Tag so immens wichtig für sie war. Es lag an der Luft, an dem eigenen Geruch des »Kuckucksnests«, der sie völlig aus dem Gleichgewicht brachte. Er rief so viele Erinnerungen in ihr wach … Dieser eigentümliche Duft nach Bienenwachs, mit dem die hölzernen Stiegen, die zu den Gästezimmern führten, poliert worden waren. Dazu ein Hauch von Weihrauch. Außerdem glaubte Antonia geradezu, die Backwaren zu riechen, die damals hinten im Backhaus täglich frisch hergestellt wurden. Wie konnte ein Haus nur so lange seinen ureigenen Duft konservieren?
    Julie war in der Zwischenzeit zu der Treppe gegangen, die in den ersten Stock führte. Rechts davon stand – ebenfalls mit weißen Laken abgedeckt – ein Flügel. Sie hob das Laken ein wenig an. Schwarzes, auf Hochglanz poliertes Ebenholz kam zum Vorschein.
    Â»Was für ein edles Stück!« Andächtig strich sie mit der Hand darüber.
    Es passte zu der jungen Frau, dass sie nicht nur sehen, sondern auch fühlen wollte, freute sich Antonia im Stillen. Fühlen, hören, schmecken, die Welt mit allen Sinnen erfassen – was für eine Gottesgabe!
    Sorgfältig zog Julie das Laken wieder glatt. »Wie um alles in der Welt ist der Flügel hier hochgekommen? Das muss doch unglaublich mühsam gewesen sein! Die armen Pferde – oder gab es da schon Autos?«
    Antonia zuckte nur mit den Schultern. Wie das riesige Musikinstrument je auf den Berg gekommen war, hatte sie sich alsKind nie gefragt. Der Flügel war einfach schon immer da gewesen.
    Â»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, oder?«, antwortete sie. »Ich glaube, Rosanna war eine Frau, die ein Nein so schnell nicht gelten ließ.«
    Der Schwindel hatte inzwischen wieder nachgelassen, und Antonia wollte Julie jetzt den Rest des Hotels zeigen.
    Â»Was möchten Sie zuerst sehen? Die Gästezimmer oder die anderen Räume? Also den Speisesaal, die Bibliothek, den …«
    Sie war schon halb die Treppe hinaufgestiegen, als sie merkte, dass Julie noch immer wie angewurzelt neben dem Flügel stand.
    Â»Julie? Ist Ihnen nicht gut?« Fühlte sich Julie womöglich nicht wohl hier?
    Julie schüttelte fast unmerklich den Kopf. Als sie zu Antonia aufblickte, kniff sie die Augen zusammen. »Es heißt doch, dass Häuser, in denen kein Mensch mehr wohnt, sterben. Dass sie zerfallen, innerlich und äußerlich. Hier jedoch ist alles noch so … intakt!« Sie nickte nach oben in Richtung der Fachwerkbalken. »Kein Holzwurm, keine Fäulnis. Nicht einmal Mäuseköttel liegen herum!« Ihr Lachen klang verwundert. »Man hat das Gefühl, als wären die Gäste nur für einen kurzen Ausflug in den herbstlichen Wald verschwunden. Wie lange, sagten Sie, liegt das Haus schon im Dornröschenschlaf?«
    Â»Zu lange«, antwortete Antonia – und kam sich dabei vor wie eine böse Hexe, die es verwunschen hatte.

    Nachdem sie wieder in Antonias Haus zurückgekehrt waren, bestand jene darauf, dass Julie es sich im Wohnzimmer bequem machte, während sie selbst in der Küche Teewasser aufsetzte.
    Julie wählte einen Sessel am Fenster und schloss einen Moment lang die Augen. Sie fühlte sich wie betrunken. Es war, als hätte sie von allem zu viel genossen: von der guten Luft, von denkräftigen Farben, von der Noblesse des alten, riesigen Fachwerkbaus, von …
    Als sie Schritte hörte, öffnete sie die Augen. Sie lächelte Antonia an, die mit einem Tablett hereinkam, auf dem eine Kanne Tee und zwei zarte Tassen standen.
    Â»Wenn ich eine künstlerische Ader hätte,
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