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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille
Autoren: Petra Durst-Benning
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entgegen, sondern es war eher ein verführerisches Zuzwinkern.
    Weder der Taxifahrer noch Julie dachten daran, Antonia aus dem Wagen zu helfen. Beide schienen sie vergessen zu haben. Der Taxifahrer hatte sich eine Zigarette angezündet, und Julie war in die Hocke gegangen und strich mit ihrer Hand über die lilafarbenen Blüten des Heidekrauts.
    Antonia, die sie vom Auto aus beobachtete, lächelte. Von jeher hatte dieser Flecken Erde, auf dem das »Kuckucksnest« stand, auf jeden, der zum ersten Mal hierher kam, eine solche Wirkung gehabt. Manche Dinge änderten sich zum Glück nie.
    Statt auszusteigen, blieb Antonia noch für einen Moment im Wagen sitzen und starrte gedankenverloren in Richtung desdichten Nadelwaldes, der hinter dem Hof begann. Ein unerwartet heftiges Glücksgefühl, gepaart mit einem nicht zu stillenden Schmerz, regte sich in ihrer Brust.
    Der alte Hof strahlte noch immer so viel Wärme, Charme und majestätische Zeitlosigkeit aus, dass die grandiose Landschaft daneben Gefahr lief, zur Kulisse zu werden. Die Häuser von Rombach, tief unten im Tal gelegen, wirkten wie Modelle auf einer Modelleisenbahnanlage – winzig, verspielt, fast ein wenig unwirklich.
    Als Antonia endlich ausstieg, zitterten ihre Knie ein wenig. Sie bat den Taxifahrer, am Auto auf sie zu warten, dann atmete sie tief durch. Es war an der Zeit, Julie das »Kuckucksnest« zu zeigen.
    Â»Hier oben sind Sie geboren? In diesem riesigen Haus?«, fragte Julie, während sie langsam auf den Berghof zugingen.
    Dankbar stützte sich Antonia auf Julies Arm. Ihr war auf einmal ein wenig schwindlig.
    Â»Ja, hier bin ich geboren, aber … Haus würde ich das ›Kuckucksnest‹ eigentlich nicht nennen. Hier oben wurde nämlich im Jahr 1903 das erste Hotel der ganzen Gegend eröffnet. Und zwar von der besten Freundin meiner Mutter, von Rosanna Moritz! Für die Gäste war es wie der Himmel auf Erden. Hier konnten sie sich nicht nur von der schlechten Stadtluft erholen, sondern Tennis spielen, ein Sonnenbad nehmen, mit dem Förster auf die Jagd gehen, im Winter Ski fahren …«
    Â»Ski fahren – vor hundert Jahren?« Julie lachte ungläubig.
    Â»Ja, stellen Sie sich vor, der erste Skilift der Welt wurde im Schwarzwald eröffnet! Der Strom dafür kam von einer Wassermühle. Schwarzwälder Erfinderreichtum, kann man da nur sagen.« Antonia lächelte. »Und kurze Zeit später wurde hier auch solch ein Ding aufgebaut. Wenn der Wind das Holz nicht weggeweht hat, müssten ein paar Überreste des Gestänges noch zu sehen sein. Hinter dem Gebäude.« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. Ihr war nicht entgangen, dass Julie den Blickwährend ihrer Ausführungen keinen Moment vom »Kuckucksnest« abgewandt hatte.
    Â»Rosanna Moritz war ihrer Zeit immer ein bisschen voraus. Sie wusste, wie man den Menschen eine schöne Zeit bereitet. Meine Mutter war übrigens von Anfang an Teilhaberin. Die ersten Jahre haben die beiden Frauen das Hotel gemeinsam geführt. Nachdem Rosanna dann … nachdem sie gestorben war, ging es ganz in den Besitz meiner Mutter über.«
    Inzwischen waren sie am Eingang des Hofes angelangt. Antonia holte einen Schlüssel aus ihrer Tasche. Leise quietschend bewegte er sich im Schloss der massiven Holztür.
    Antonia zögerte einen Moment lang, dann drehte sie sich zu Julie um. »Ich habe Rosanna allerdings nie kennen lernen dürfen. Sie ist früh gestorben, schon vor meiner Geburt. Und nachdem meine Eltern das Hotel übernommen hatten, war alles … nicht mehr so wie früher. Zumindest haben das die Leute erzählt.«
    Während Julie versuchte, durch eins der zahlreichen Fenster einen Blick ins Innere des Hauses zu erhaschen, öffnete Antonia im Windfang auch die zweite Tür. Mit einer einladenden Handbewegung bat sie Julie ins Haus.
    Â»Das hier war die Eingangshalle.« Sie zeigte auf einen großen, reich mit Schnitzereien verzierten Tresen. »Hier wurde jeder Gast persönlich begrüßt.«
    Mit leisen Schritten, fast ehrfürchtig, betrat Julie den sonnendurchfluteten Raum.
    Â»Das glaub ich sofort – dass sich die Gäste hier willkommen fühlten!« Sie wies mit dem Kopf auf eine Gruppe von Polstersesseln. Sie waren mit weißen Tüchern abgedeckt, auf denen das hereinfallende Sonnenlicht gelbe Streifen hinterließ. Auf einem
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