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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille
Autoren: Petra Durst-Benning
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schwiegen beide. Dann räusperte sich Antonia.
    Â»Wissen Sie, was ich nie verstanden habe? Zu Rosannas Zeiten war das ›Kuckucksnest‹ ein Ort, an dem sich Menschen besonders wohl fühlten und wohin sie immer wieder zurückkehren wollten. Noch heute habe ich die Geschichten im Ohr, die die Leute im Dorf mir erzählt haben, als ich noch ein Kind war: von den rauschenden Festen oben im Berghof, von den berühmten Gästen, die so verrückte Sachen unternahmen wie eine nächtliche Schlittenfahrt bei Fackelschein. Und nur ein paar Jahre später war es damit aus und vorbei! Die Gäste wurden immer weniger, und irgendwann blieben sie dann ganz weg. Es war, als ob nach Rosannas Tod auch das Glück und die Fröhlichkeit abgereist wären … Und keiner hat sie zurückholen können. Dabei hat sich meine Mutter bemüht, davon bin ich überzeugt! Nun ja, viel Hilfe hatte sie wohl in Vater nicht – er hat sich jeden Tag stundenlang in seinem Zimmer verschanzt, um zu malen. Er war ein Künstler, und ein Hotelwirt war er gewiss nicht … Ich glaube, er hat dieses Leben gehasst.« Antonia starrte vor sich hin. »Vielleicht hat er auch uns gehasst. Er ist gegangen, als ich gerade einmal fünf Jahre alt war. Ist eines Tages runter vom Berg und nicht wiedergekommen. Einfach so! Ich habe meinen Vater nie wiedergesehen.«
    Â»Das tut mir Leid«, sagte Julie leise.
    Â»Jedenfalls … im ›Kuckucksnest‹ war der Zauber verlorengegangen.« In einer resignierenden Geste warf Antonia beide Hände in die Höhe. »Eine so schöne Frau wie Rosanna, bei allen beliebt – und dann stirbt sie so jung! Das ist wirklich ein Drama, oder?«
    Julie rutschte auf ihrem Sessel herum. Das Gespräch berührte sie auf unangenehme Weise. Da sie nicht wusste, was sie antworten sollte, nahm sie einen Schluck Tee.
    Â»Das muss für Ihre Mutter sehr schwer gewesen sein – ihre beste Freundin zu verlieren.« Und dann auch noch vom eigenen Mann verlassen zu werden, fügte Julie in Gedanken hinzu.
    Antonia nickte vage. »Ich glaube, sie ist nie darüber hinweggekommen. Sie war … sehr unnahbar, hat keinen an sich herangelassen. Vielleicht vor lauter Angst, noch einmal solches Leid ertragen zu müssen. Wissen Sie, es ist eigentlich seltsam, aber meine Mutter tat so, als hätte es Rosanna nie gegeben. Jedenfalls hat sie nie über sie gesprochen. Nun, mit dem lieben Gott vielleicht. Mit dem hat sie ja dauernd geredet, ansonsten war sie sehr verschlossen.«
    Antonia blinzelte, als wolle sie damit den harten Ton mildern, der plötzlich in ihrer Stimme aufgetaucht war.
    Â»Was ich über meine Mutter und Rosanna weiß, das haben mir die Leute im Dorf erzählt. Gemeinsam durch dick und dünn, als seien sie Schwestern gewesen, so hieß es immer.« Sie lächelte versonnen.
    Â»Diese Rosanna muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein«, sagte Julie. »Zu jener Zeit ein Hotel zu eröffnen! Überhaupt auf die Idee zu kommen!«
    Antonia nickte. »Das war sie bestimmt. Und einfach haben es ihr die Leute im Dorf nicht gemacht, so viel ist gewiss! Nichts gegen die Rombacher, aber Sie wissen ja, wie das in kleinen Dörfern ist: Da wird alles Neue erst einmal argwöhnisch betrachtet. Und wenn es dann noch von einer Frau kommt …«
    Julie wollte gerade davon erzählen, welche Unkenrufe sie und Theo sich hatten anhören müssen, als sie ihre Kunstschule eröffnet hatten, doch da sprach Antonia schon weiter.
    Â»Irgendwann – wir wohnten schon im Dorf unten, ich muss ungefähr acht Jahre alt gewesen sein – hab ich Mutter gefragt, warum wir ihre beste Freundin eigentlich nie auf dem Friedhof besuchen. Eine Antwort habe ich nicht bekommen. Mutter hat mich nur in ihrer besonderen Art angeschaut, und ich wusste, dass ich wieder einmal ein böses Mädchen war. Und dann hat sie mich in die Kirche geschleift, am helllichten Nachmittag, und wir haben zusammen Rosenkränze gebetet. Ich hab schnell gelernt, dass es besser ist, gewisse Dinge nicht anzusprechen. Das Thema Rosanna gehörte dazu.«
    Antonia seufzte laut auf. »Du meine Güte, Sie müssen mich für ein altes Waschweib halten! Kaum fange ich an zu erzählen, finde ich kein Ende mehr.«
    Sie drehte wieder ihr Handgelenk hin und her, um die Zeit auf dem winzigen Zifferblatt ihrer Uhr ablesen zu
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