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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille
Autoren: Petra Durst-Benning
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wichtigste – fehlt immer noch …« Antonia hielt einen Moment lang die Luft an. »Das Glück, das aus dem ›Kuckucksnest‹ verschwunden ist – erinnern Sie sich?«
    In diesem Moment läuteten die Kirchenglocken das neue Jahr ein. Julie stand auf und machte einen Schritt auf Antonia zu. Die beiden Frauen umarmten sich, doch ihre Bewegungen hatten trotz aller Herzlichkeit etwas Mechanisches. Antonia fragte, ob Julie vors Haus gehen wolle, um das Feuerwerk anzuschauen, doch Julie verneinte. Sie schlug vor, einen Kaffee zu kochen, bevor sie Antonias letzte Frage beantwortete.
    Â»Ja, warum ist das Glück aus dem ›Kuckucksnest‹ verschwunden?« Julie inhalierte tief den aus der Tasse aufsteigenden Kaffeeduft. »Natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt. Immer wieder. Sie war sozusagen der rote Faden, der mich durch all die Tagebücher geführt hat.« Nervös warf sie ihren Zopf über die Schulter. Ihre Gedanken wirbelten wie Wäsche in einem Trockner.
    Besorgt betrachtete sie Antonia, deren Gesicht im Kerzenschein bleich schimmerte. Vielleicht war es besser, das Gespräch jetzt abzubrechen und morgen fortzuführen. Doch sie wusste, dass Antonia davon nichts würde hören wollen. Das letzte Teil des Puzzles musste noch in dieser Nacht gelegt werden. Aber würde es ihr gelingen?
    Â»Es wäre zu einfach zu glauben, dass es nur mit der Schuld zu tun hat, die Ihre Mutter auf sich geladen hat. Obwohl dies auch mein erster Gedanke war«, hob sie an.
    Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster, wo sich am Winterhimmel eine goldgelbe Sternenkaskade ergoss, gefolgt von blauem und rotem Feuerregen.
    Â»Glück – was ist das überhaupt? Meinen wir glückliche Zufälle? Das Glück des Tüchtigen im Geschäftsleben? Muss man Glück haben, um glücklich zu sein?«
    Antonia runzelte die Stirn, und Julie sprach hastig weiter: »Wann ist jemand wirklich glücklich? Und gibt es wirklich Glückauf Dauer? Ich weiß es nicht … Es gibt immerhin Menschen, die sich für ewige Glückspilze halten. Und andere, die sich als die ewigen Verlierer sehen. Aber ist es nicht eher so, dass das Schicksal keinen von uns wirklich bevorzugt? Rosanna zum Beispiel – welche Schicksalsschläge hat sie einstecken müssen! Trotzdem war sie kein unglücklicher Mensch.« Julie nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie weitersprach. »Vielleicht ist ein Mensch dann glücklich, wenn er lieben kann und wenn er geliebt wird. Vielleicht stimmt diese Antwort aber auch nur bedingt – keine Ahnung!« Sie lachte verlegen auf. »Also, ich weiß wirklich nicht, ob ich Sie weiter mit meinem pseudophilosophischen Gerede langweilen soll …«
    Antonia winkte ungeduldig ab. »Sie langweilen mich nicht, ganz im Gegenteil.«
    Julie seufzte. Das, worüber sie nun sprachen, bewegte sie seit Wochen. War sie selbst glücklich? Wann war sie in ihrem Leben glücklich gewesen? Es fielen ihr viele Momente ein. Glück – das hatte sie empfunden, wenn sie morgens auf dem Moritzhof vom Gesang der Vögel geweckt worden war. Das Zwiegespräch mit der Natur – es konnte glücklich machen, aber darum ging es im Augenblick nicht. Glücklich war sie auch in den ersten Jahren ihrer Ehe gewesen. Und Glück war schließlich auch, wenn Theo und sie nach einem langen Tag im »Soul Fantasies« zusammensaßen und das Geschehene Revue passieren ließen. Wenn ein Schüler auf sie zukam und ihr strahlend sein neuestes Aquarellbild präsentierte oder wenn einer der Lehrer von einem gelungenen Workshop erzählte. Es machte glücklich, andere Menschen glücklich zu sehen, oder nicht?
    Julie wagte einen neuen Versuch.
    Â»Wenn Glücklichsein mit Liebe zu tun hat, dann hatte das Glück auf dem Moritzhof vor allem mit Rosanna zu tun! Sie war eine Frau, die geliebt hat, ohne Vorurteile, jenseits jeglicher konventioneller Vorstellung von Liebe. Sie liebte Simone – das ungeliebte Kind. Sie liebte Zacharias, den schwachen Sohn. Sie hat Karl Moritz, den verschrobenen Alten, geliebt. Immer wieder wurden ihr unlautere Motive unterstellt, dabei war ihreLiebe ehrlich und unbefangen. Zacharias hat einmal zu ihr gesagt: ›Seit du da bist, ist einfach alles schöner geworden.‹ Dieser Satz muss sie beeindruckt haben, denn sie hat ihn in ihrem Tagebuch niedergeschrieben.
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