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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille
Autoren: Petra Durst-Benning
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war ein echter Freund geworden.
    Neben der Aktentasche stand ein Korb. Darin befanden sich ein Laib Weißbrot, geräucherter Lachs und Heringssalat vom Fischladen um die Ecke und eine Flasche Sekt. Julie hatte diesen kleinen Imbiss mit gemischten Gefühlen eingepackt. Waren Sekt und Lachshäppchen angebracht angesichts dessen, was sie Antonia zu erzählen hatte? »Ach ja, übrigens, Ihre Mutter war eine Mörderin! Möchten Sie noch ein Gläschen Sekt?« In einem Anfall von Hysterie, verbunden mit regelrechten Panikattacken auf Julies Seite, hatten Theo und sie sich am Vorabend über den Irrwitz der Situation lustig gemacht. Andererseits wollte Julie nicht mit leeren Händen zu Antonia kommen, und der Gedanke, dass man sich mit dem Essen ein wenig ablenken konnte, wenn die Situation zu emotional oder peinlich wurde, beruhigte Julie. Doch wie sollte sie nur anfangen? Und sollte sie Antonia wirklich alles erzählen?
    Endlich hatte sie Freiburg hinter sich gelassen. Je höher sie in den Schwarzwald hinauffuhr, desto spärlicher wurde der Verkehr.
    Julies Gefühle waren widersprüchlich. Einerseits konnte sie es kaum erwarten, Antonia endlich ihre Geschichte zu erzählen beziehungsweise sie ihr zum Lesen zu geben. Andererseits war ihr dieser Gedanke unheimlich. Wie würde Antonia reagieren?
    Wie würde ich selbst in so einer Situation reagieren, fragte sich Julie nicht zum ersten Mal. Aber sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich in Antonias Lage hineinzuversetzen. Das beunruhigte sie. Sie mochte Antonia. Ihr bescheidenes Wesen, ihr stiller Mut, die Art, wie sie ihre Krebserkrankung meisterte – all das imponierte Julie. Dazu kam inzwischen das Wissen, wie Antonias Kindheit verlaufen sein musste: einsam, an der Seite einer Mutter, die nicht fähig war, Liebe zu schenken, weil ihre Liebe tödlich war. Julie kam es so vor, als kenne sie Antonia schon seit Jahren. Würde ihr dieses Gefühl die bevorstehende Aufgabe erleichtern oder eher erschweren? »Frau Fahrner ist stärker, als du glaubst«, hatte Jan gesagt.
    Die Straßen wurden nun immer enger. Schon in Freiburg hatte man den Schnee riechen können, hier oben wurde die Landschaft hinter jeder Serpentine weißer. Die Straßen waren zum Glück freigeräumt, doch links und rechts davon türmten sich riesige Berge Schnee. Julies Blick fiel auf das Außenthermometer ihres Wagens. Minus sieben Grad – zu kalt für weitere Schneefälle. Raureif ließ die Landschaft glitzern. Obwohl ihr Kopf voll war mit dem, was ihr bevorstand, konnte sie sich dem Zauber der winterlichen Umgebung nicht entziehen. Julie lächelte.
    Es war schön, hier oben zu sein.
    Â»Nachdem ich den Brief Ihrer Mutter gefunden hatte, bin ich gleich am nächsten Tag hinunter ins Dorf zu Doktor Gärtner gegangen. Dass Simone einen Selbstmordversuch unternommen hatte, wusste ich schon von meinem Vater. Und auch, dass sie von Helmut gerettet worden war. Jeder normale Mensch würde in so einer Situation einen Arzt rufen, und ich hoffte darauf, dass auchHelmut es getan hat. In dem Fall musste es darüber eine Krankenakte oder einen Eintrag in den Unterlagen des Arztes geben, sagte ich mir. Allerdings rechnete ich mir keine großen Chancen aus, dass Doktor Gärtner noch irgendwo alte Unterlagen seiner Vorgänger aufbewahrte. Zumal es sich um einen Krankenbericht handelte, der vor mehr als achtzig Jahren geschrieben worden war. Aber ich hatte Glück!« In Julies Stimme schwang ein Hauch von Genugtuung mit. »Wenn Sie den Keller des guten Doktors gesehen hätten – voll bis unter die Decke …« Die Genugtuung schwand, und an ihre Stelle trat eine gewisse Unsicherheit, die schon große Teile von Julies Bericht begleitet hatte.
    Antonia betrachtete die junge Frau, die ihr gegenüber mit angezogenen Beinen auf dem Sessel saß. Das Licht der Kerzen, die auf dem Tischchen davor standen, tauchte ihre linke Gesichtshälfte in Schatten, während ihre rechte Seite regelrecht glühte. Es würde keine drei Minuten dauern, und Julie würde ihre Beine wieder auf den Boden stellen oder nach vorn auf die Kante des Sessels rutschen. Ihre Hände begleiteten wie unruhige kleine Tiere ihre Rede, flogen in die Luft, fielen zurück in ihren Schoß, ihre Finger trommelten auf die Sesselkante … Julies Nervosität hatte im Laufe des Abends eher noch
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