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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman
Autoren: Michael-André Werner
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wir irgendwann in der Küche ankommen, ist es draußen hell. Kann aber auch daran liegen, dass auf der Straßenseite gegenüber die Fassade verputzt wird und das Gerüst mit einem Megawerbeplakat versteckt wird, das natürlich von vier extrem hellen Strahlern erleuchtet werden muss, damit man auch nachts die Handywerbung noch gut sehen kann.
    »Platz da, jetzt wird gemixt!«, ruft Petra in die Küche, und sofort schallt ein »Mix für mich einen mit« heraus, aber niemand macht den geforderten Platz. Wahrscheinlich, weil es einfach nicht möglich ist. Dafür wird umso fleißiger gegessen, um wenigstens auf den vorhandenen Ablageflächen Platz zu schaffen. Petra drängelt sich zu einer kleinen Rothaarigen in blauem Blumenkleid durch, die am Fenster steht, und zieht mich mit sich. Die Rothaarige kiekst kurz auf, als hätte man ihr zwei Zeigefinger in die Seiten gestoßen, dann umarmensich beide, als seien sie als Kinder getrennt worden und hätten sich erst jetzt nach jahrelanger Suche wiedergefunden. Sie taumeln von einem Bein aufs andere, sieht fast aus wie der Klammerblues aus meiner Jugendzeit, nur mit mehr Klammern und weniger Blues, eher Polka. Passt so gar nicht zu Madonna, die aus dem Wohnzimmer schallt. Wie sich herausstellt, haben sich die beiden seit etwa einem halben Jahr nicht gesehen, also ungefähr so lange, wie Petra und ich jetzt zusammen sind. »Wann haben Sie denn die Petra zum letzten Mal als Single gesehen?«, fragt ein kleiner Kommissar in meinem Kopf, und die Zeugin antwortet: »Vor einem halben Jahr, Herr Inspektor. Und am nächsten Tag war sie ja schon in dieser Beziehung. Ach, es ist so schrecklich!«
    Aber offenbar hatten sie seit damals noch genug Zeit, um ab und zu zu telefonieren, denn erstens stellt mich Petra auf das »Du siehst gut aus!« der Rothaarigen mit den Worten »Ja, und das ist der Grund!« vor, und zweitens wären wir wohl sonst nicht hier, denn wir stehen vor Ilka, der Ilka, genau, der Freundin des Gastgebers, was sie zur Gastgeberin macht, die Petra vor ein paar Tagen eingeladen hat. Und weil sie nicht nur die Freundin des Gastgebers ist, sondern auch die langverschollene Freundin aus Petras Kindheit aufm Dorf, umarmt sie auch mich und drückt mich ganz fest. »Jaja«, will ich sagen, »ich hab dich auch ganz doll lieb,mein kleines Moppelchen«, denn ganz so sehnig wie Petra ist sie nicht, »aber nu ist auch mal genug«, stattdessen stammle ich ein: »Ich soll was mixen. Sagt Petra.«
    »Sex on the beach«, sagt Petra.
    »Aber nicht hier in der Küche.« Ilka lacht.
    Petra lacht auch.
    Ich versuche mich im Lächeln, denn ich hab ein paar Jahre als Cocktailmixer in einigen Bars zugebracht und ich kenne alle 226 Sprüche, die man auf Sex on the Beach schlagfertig erwidern kann. Und keiner ist richtig gut, bis auf meinen Lieblingsspruch. Der mit der Ostsee.
    »Ach bitte«, sagt Petra. »Wenigstens ...«
    Da wird sie von nebenan unterbrochen. Das ganze Wohnzimmer ruft Worte wie »Ey!« und »He!« oder »Mann!«, darunter noch zwei »Soll 'n das?«. Fast gleichzeitig schreit ein Mann, zuerst besoffen-unverständlich-wutvernuschelt, dann kristallisiert sich ein »Du verficktes Arschloch!« heraus, gefolgt, offenbar in Ermangelung eines größeren Vokabulars, von noch einem »verfickten Arschloch«.
    Ilka schiebt mich mit einem fast abwesenden »Lass mich mal durch!« zur Seite und drängt sich durchs Gästegewühl ins Wohnzimmer. Petra schaut mich an, ich schaue Petra an, ich zucke mit den Schultern, dann drängeln wir uns hinterher. Eigentlich drängelt nur Petra in Richtung Wohnzimmer,ich würde ja in der Küche bleiben, ein wenig Fladenbrot und Kartoffelsalat essen oder ihr schon mal den Sex on the Beach mixen, aber sie zieht mich mit sich. Na gut. Wir kommen erstaunlich gut durch die Menschenmenge, von der sich ein Teil dicht an die Wände drückt, als Petra, die knapp einen halben Kopf kleiner ist als ich, uns den Weg bahnt. Sie hat ihre unsichtbare Machete herausgeholt, die sie immer benutzt, wenn sie größere Menschenansammlungen (U-Bahn-Berufsverkehr, Schlussverkäufe, Partys) durchqueren will. Auch im Wohnzimmer ist es überraschend leer, oder anders gesagt: Es ist überraschend viel Platz, denn vor dem hellen Kiefernholzschrank hat sich ein weiträumiger Halbkreis gebildet, in dem niemand steht, außer Alexander, der am Schrank lehnt, die Arme verschränkt, immer noch leicht lächelnd, und Rotsöckchen, mit der er sich offenbar bis eben noch unterhalten hat. Jetzt
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