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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns
Autoren: Heinrich Böll
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Denkmalsgesicht. Meine dunklen Haare wie eine Perücke darüber. Ich summte einen Text vor mich hin, der mir gerade einfiel: »Der arme Papst Johannes, hört nicht die CDU, er ist nicht Müllers Esel, er will nicht Müllers Kuh.« Das konnte für den Anfang gehn, und das Zentralkomitee zur Bekämpfung der Gotteslästerung konnte an dem Text nichts auszusetzen haben.
    Ich würde noch viele Strophen hinzudichten, das Ganze balladesk intonieren. Ich hätte gern geweint: die Schminke hinderte mich, sie saß so gut, mit den Rissen, mit den Stellen, wo sie anfing abzublättern, die Tränen hätten das alles zerstört. Ich könnte später weinen, nach Feierabend, wenn mir noch danach zumute war. Der
    professionelle Habitus ist der beste Schutz, auf Leben und Tod zu treffen sind nur Heilige und Amateure. Ich trat vom Spiegel zurück, tiefer in mich hinein und zugleich weiter weg. Wenn Marie mich so sah und es dann über sich brachte, ihm die
    Wachsflecken aus seiner Malteserritteruniform rauszubügeln - dann war sie tot, und wir waren geschieden. Dann konnte ich anfangen, an ihrem Grab zu trauern. Ich
    hoffte, sie würden alle genug Kleingeld bei sich haben, wenn sie vorbeikamen : Leo etwas mehr als einen Groschen, Edgar Wieneken, wenn er aus Thailand zurückkam, vielleicht eine alte Goldmünze, und Großvater, wenn er aus Ischia kam - er
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    würde mir wenigstens einen Verrechnungsscheck ausschreiben. Ich hatte inzwischen gelernt, daraus Bargeld zu machen, meine Mutter würde wahrscheinlich zwei bis fünf Pfennige für angebracht halten, Monika Silvs würde sich vielleicht zu mir
    herunterbeugen und mir einen Kuß geben, während Sommerwild, Kinkel und
    Fredebeul, empört über meine Geschmacklosigkeit, nicht einmal eine Zigarette in meinen Hut werfen würden. Zwischendurch, wenn für Stunden kein Zug aus dem
    Süden zu erwarten war, würde ich zu Sabine Emonds hinausradeln und mein Süppchen essen. Vielleicht würde Sommerwild Züpfner in Rom anrufen und ihm raten, schon in Godesberg auszusteigen. Dann würde ich hinausradeln, mich vor die Villa mit abfallendem Garten am Hang setzen und mein Liedchen dort singen: sie sollte nur kommen, mich anschauen und tot oder lebendig sein. Der einzige, der mir leid tat, war mein Vater. Es war sehr nett von ihm gewesen, daß er die Frauen vor dem
    Erschießen rettete, und es war nett gewesen, daß er mir die Hand auf die Schulter legte, und - ich sahs jetzt im Spiegel — so geschminkt wie ich war, glich ich ihm nicht nur, ich war ihm verblüffend ähnlich, und ich verstand jetzt, wie heftig er Leos Konversion abgelehnt hatte. Mit Leo hatte ich kein Mitleid, er hatte ja seinen Glauben.
    Es war noch nicht halb zehn, als ich im Aufzug runterfuhr. Mir fiel der christliche Herr Kostert ein, der mir noch die Flasche Schnaps schuldete und die Differenz zwischen der Fahrkarte erster und zweiter Klasse. Ich würde ihm eine unfrankierte Postkarte schreiben und an sein Gewissen pochen. Er mußte mir auch noch den
    Gepäckschein schicken. Es war gut, daß mir meine Nachbarin, die hübsche Frau
    Grebsel, nicht begegnete. Ich hätte ihr alles erklären müssen. Wenn sie mich auf der Treppe des Bahnhofs sitzen sah, brauchte ich nichts mehr zu erklären. Mir fehlte nur das Brikett, meine Visitenkarte.
    Es war kühl draußen, Märzabend, ich schlug den Rockkragen hoch, setzte den Hut auf, tastete nach meiner letzten Ziga-252
    rette in der Tasche. Mir fiel die Kognakflasche ein, sie hätte sehr dekorativ gewirkt, aber doch die Mildtätigkeit behindert, es war eine teure Marke, am Korken
    erkennbar. Das Kissen unter den linken, die Guitarre unter den rechten Arm
    geklemmt, ging ich zum Bahnhof zurück. Auf dem Weg erst bemerkte ich Spuren der Zeit, die man hier die »närrische« nennt. Ein als Fidel Castro maskierter betrunkener Jugendlicher versuchte mich anzurempeln, ich wich ihm aus. Auf der Bahnhofstreppe wartete eine Gruppe von Matadoren und spanischen Donnas auf ein Taxi. Ich hatte vergessen, es war Karneval. Das paßte gut. Nirgendwo ist ein Professioneller besser versteckt als unter Amateuren. Ich legte mein Kissen auf die dritte Stufe von unten, setzte mich hin, nahm den Hut ab und legte die Zigarette hinein, nicht genau in die Mitte, nicht an den Rand, so, als wäre sie von oben geworfen worden, und fing an zu singen: »Der arme Papst Johannes«, niemand achtete auf mich, das wäre auch nicht gut gewesen: nach einer, nach zwei, drei Stunden würden sie schon anfangen,
    aufmerksam zu werden.
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