Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
würde er die
    »Verpflegung« loben - so gut hatte er zu Hause nie zu essen bekommen-, die Strapazen für »erzieherisch äußerst wertvoll« halten und die Berührung mit dem Mann aus dem Volke für »ungeheuer lehrreich«. Ich konnte mir sparen, ihn danach zu fragen. Er würde diese Nacht in seinem Konviktsbett kein Auge zutun, sich in Gewissensbissen hin und herwälzen und sich fragen, ob es richtig gewesen war, nicht zu mir zu kommen.
    Ich hatte ihm soviel sagen wollen: daß es besser für ihn wäre, in Südamerika oder Moskau, irgendwo in der Welt, nur nicht in Bonn, Theologie zu studieren. Er mußte doch begreifen, daß für das, was er seinen Glauben nannte, hier kein Platz war, zwischen Sommerwild und Blothert, in Bonn, war ein konvertierter Schnier, der sogar Priester wurde, ja fast geeignet, die Börsenkurse zu festigen. Ich mußte einmal mit ihm über alles reden, am besten, wenn zu Hause jour fixe war. Wir beiden abtrünnigen Söhne würden uns zu Anna in die Küche setzen, Kaffee trinken, alte Zeiten
    heraufbeschwören, glorreiche Zeiten, in denen in unserem Park noch mit Panzer-
    fäusten geübt worden war und Wehrmachtsautos vor der Einfahrt hielten, als wir Einquartierung bekamen. Ein Offizier - Major, oder sowas - mit Feldwebeln und
    Soldaten, ein Auto mit Standarte, und sie alle hatten nichts anderes im Kopf als Spiegeleier, Kognak, Zigaretten und handgreifliche Scherze mit den Mädchen in der Küche. Manchmal wurden sie dienstlich, d. h. wichtigtuerisch: dann traten sie vor unserem Haus an, der Offizier warf sich in die Brust, steckte sogar seine Hand unter den Rock, wie ein Schmierenschauspieler, der einen Obristen spielt, und schrie etwas vom
    »Endsieg«. Peinlich, lächerlich, sinnlos. Als dann herauskam, daß Frau Wieneken nachts heimlich mit ein paar Frauen durch

247
    den Wald gegangen war, durch die deutschen und amerikanischen Linien hindurch, um drüben bei ihrem Bruder, der eine Bäckerei hatte, Brot zu holen, wurde die
    Wichtigtuerei lebensgefährlich. Der Offizier wollte Frau Wieneken und zwei andere Frauen wegen Spionage und Sabotage erschießen lassen (Frau Wieneken hatte bei
    einem Verhör zugegeben, drüben mit einem amerikanischen Soldaten gesprochen zu haben). Aber da wurde mein Vater - zum zweitenmal in seinem Leben, soweit ich
    mich erinnern kann -, energisch, holte die Frauen aus dem improvisierten Gefängnis, unserer Bügelkammer, heraus und versteckte sie im Bootsschuppen unten am Ufer. Er wurde richtig tapfer, schrie den Offizier an, der schrie ihn an. Das Lächerlichste an dem Offizier waren seine Orden, die auf der Brust bebten vor Empörung, während meine Mutter mit ihrer sanften Stimme sagte: »Meine Herren, meine Herren - es gibt schließlich Grenzen.« Was ihr peinlich an der Sache war, war die Tatsache, daß zwei
    »Herren« sich anbrüllten. Mein Vater sagte: »Bevor diesen Frauen ein Leid geschieht, müssen Sie mich erschießen - bitte« und er knöpfte wirklich seinen Rock auf und hielt dem Offizier seine Brust hin, aber die Soldaten zogen dann ab, weil die Amerikaner schon auf den Rheinhöhen waren, und die Frauen konnten aus dem Bootsschuppen
    wieder raus. Das Peinlichste an diesem Major, oder was er war, waren seine Orden.
    Undekoriert hätte er vielleicht noch die Möglichkeit gehabt, eine gewisse Würde zu wahren. Wenn ich die miesen Spießer bei Mutters jour fixe mit ihren Orden herumstehen sehe, denke ich immer an diesen Offizier, und sogar Sommerwilds Orden kommt mir dann noch erträglich vor: Pro Ecclesia und irgend was. Sommerwild tut immerhin für seine Kirche Dauerhaftes: er hält seine »Künstler« bei der Stange und hat noch Geschmack genug, den Orden »an sich« für peinlich zu halten. Er trägt ihn nur bei Prozessionen, feierlichen Gottesdiensten und Fernsehdiskussionen. Das
    Fernsehen bringt auch ihn um den Rest von Scham, den ich ihm zubilligen muß.
    Wenn unser Zeitalter einen Namen verdient,
    248
    müßte es Zeitalter der Prostitution heißen. Die Leute gewöhnen sich ans
    Hurenvokabularium. Ich traf Sommerwild einmal nach einer solchen Diskussion
    (»Kann moderne Kunst religiös sein?«), und er fragte mich: »War ich gut? Fanden Sie mich gut?« wortwörtlich Fragen, wie sie Huren ihren abziehenden Freiern stellen.
    Es fehlte nur noch, daß er gesagt hätte: »Empfehlen Sie mich weiter.« Ich sagte ihm damals: »Ich finde Sie nicht gut, kann Sie also gestern nicht gut gefunden haben.« Er war vollkommen niedergeschlagen, obwohl ich meinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher