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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns
Autoren: Heinrich Böll
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stinkend, und als er
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    nach einem der Briefbündel greifen wollte, schlug ich ihm auf die Hand und kippte den Rest Benzin, der noch im Kanister war, in die Flamme. Später tauchte sogar die Feuerwehr auf mit lächerlich großen Schläuchen, und im Hintergrund schrie einer mit einer lächerlich hohen Stimme das lächerlichste Kommando, das ich je gehört habe:
    »Wasser Marsch!« und sie schämten sich nicht, diesen armseligen Scheiterhaufen noch mit ihren Schläuchen zu bespritzen, und weil ein Fensterrahmen ein bißchen Feuer gefangen hatte, richtete einer seinen Schlauch darauf, drinnen schwamm alles, und später warf sich der Parkettboden, und Mutter heulte wegen des verdorbenen Bodens und telefonierte mit sämtlichen Versicherungen, um herauszubekommen, ob es Wasserschaden, Feuerschaden war oder unter die Sachversicherung fiel.
    Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, steckte sie wieder in die Rocktasche zurück und betastete mein Knie. Wenn ich lag, schmerzte es weniger. Wenn ich vernünftig war, mich konzentrierte, würden Schwellung und Schmerz nachlassen. Ich konnte mir eine leere Apfelsinenkiste besorgen, mich vor den Bahnhof setzen, Guitarre spielen und die Lauretanische Litanei singen. Ich würde - wie zufällig - meinen Hut oder meine Mütze neben mich auf die Stufe legen, und wenn erst einer auf die Idee kam, was reinzuwerfen, würden andere auch den Mut dazu haben. Ich brauchte Geld, schon, weil ich fast keine Zigaretten mehr hatte. Am besten wäre es, einen Groschen und ein paar Fünfpfennigstücke in den Hut reinzulegen. Sicher würde Leo mir wenigstens soviel mitbringen. Ich sah mich schon da sitzen: das weißgeschminkte Gesicht vor der dunklen Bahnhofsfassade, ein blaues Trikot, meine schwarze Tweedjacke und die
    grüne Manchesterhose, und ich »hub an«, gegen den Straßenlärm anzusingen: Rosa mystica- orapro nobis — turris Davidica- orapro nobis - virgo fidelis - ora pro nobis -
    ich würde dort sitzen, wenn die Züge aus Rom ankamen und meine coniux infidelis mit ihrem katholischen Mann ankam. Die Trauungszeremonie mußte peinliche
    Überlegungen notwendig gemacht haben: Marie war
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    nicht Witwe, sie war nicht geschieden, sie war - das wußte ich nun zufällig genau -
    nicht mehr Jungfrau. Sommerwild hatte sich die Haare raufen müssen, eine Trauung ohne Schleier verdarb ihm das ganze ästhetische Konzept. Oder hatten sie besondere liturgische Vorschriften für gefallene Mädchen und ehemalige Clownskonkubinen?
    Was hatte sich der Bischof gedacht, der die Trauung vollzog? Unter einem Bischof würden sie es nicht tun. Marie hatte mich einmal in ein Bischofsamt geschleppt, und das ganze Hin und Her mit Mitra ab- und Mitra, aufsetzen, weißes Band um-, weißes Band ablegen, Bischofsstab dorthin, Bischofsstab hierhin legen, rotes Band um, weißes ablegen, hatte mich sehr beeindruckt, als sensible Künstlernatur habe ich ein Organ für die Ästhetik der Wiederholung.
    Ich dachte auch an meine Schlüsselpantomime. Ich konnte mir Plastilin besorgen, einen Schlüssel hineindrücken, Wasser in die Hohlform gießen und im Eisschrank ein paar Schlüssel backen; es war sicher möglich, eine kleine transportable Kühltruhe zu finden, in der ich mir jeden Abend für, meinen Auftritt die Schlüssel backen würde, die während der Nummer dahinschmelzen sollten. Vielleicht war aus dem Einfall was zu machen, im Augenblick verwarf ich ihn, er war zu kompliziert, machte mich von zu vielen Requisiten und von technischen Zufällen abhängig, und wenn irgendein Bühnenarbeiter im Krieg einmal von einem Rheinländer betrogen worden war, würde er die Kühltruhe öffnen und mir die Schau unmöglich machen. Das andere war
    besser: mit meinem wahren Gesicht, weißgeschminkt, auf der Bonner Bahnhofstreppe sitzen, die Lauretanische Litanei singen und auf der Guitarre ein paar Akkorde anschlagen. Neben mir der Hut, den ich früher bei Chaplin-Imitationen getragen hatte, mir fehlten nur die Lockmünzen: ein Groschen wäre schon gut, ein Groschen und ein Fünfer besser, am besten aber drei Münzen: ein Groschen, ein Fünfer und ein Zweipfennigstück. Die Leute mußten sehen, daß ich kein religiöser Fanatiker war, der eine milde Gabe verabscheute, und sie mußten
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    sehen, daß jedes Scherflein, auch ein kupfernes, willkommen war. Später würde ich dann eine silberne Münze dazulegen, es mußte ersichtlich sein, daß größere Gaben nicht nur nicht verschmäht, sondern auch gegeben wurden. Ich würde sogar
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