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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Autoren: George Neblin
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bis auf einige Schrammen schwarzen Hornbrille mit runden Gläsern verbargen. Sein bräunliches Tweed Jackett, das er seit Jahrzehnten zu tragen schien und in dessen linkem Ärmel ich ein fingernagelgroßes Loch zu erkennen vermeinte, harmonierte nicht ganz mit der grauen Flanellhose und seiner Krawatte. Das einzige Schmuckstück an seiner Aufmachung war ein ovaler goldener Siegelring am kleinen Finger der linken Hand, der irgendein Wappen zeigte. Insgesamt machte er einen großväterlich-fröhlichen Eindruck. Obwohl er sich als ein ungemein geistreicher und unterhaltsamer Gesprächspartner erwies, umgab ihn eine gewisse Zurückhaltung, die seine außer Frage stehende Persönlichkeit auf den ersten Blick verdeckte.
    Der Eindruck, den Lawrence Cromwell Hawthorne III. schon in den ersten Momenten einer Begegnung hinterließ war ein ganz anderer. Obwohl er einen guten Kopf kleiner als ich war, ging von ihm eine kaum zu beschreibende Präsenz aus, mit der er den ganzen Raum einzunehmen schien. Er wirkte durch und durch gepflegt und aristokratisch. Sein Gesicht ließ sein Alter, das zu diesem Zeitpunkt bei über siebzig Jahren lag, im Gegensatz zu dem schneeweißen Haar und den tief liegenden, fast schwarzen Augen, kaum erkennen. Sein anthrazitfarbener zweireihiger Anzug aus feinstem Tuch saß wie angegossen. Dazu trug er ein blütenweißes Hemd, eine kamelbraune, blau gemusterte Schleife und ein beiges Einstecktuch. Später erfuhr ich, dass er die meisten seiner Anzüge und Hemden in der Londoner Savile Row von dem Schneider anfertigen ließ, der auch den Prince of Wales bediente. Hawthornes Hände, von denen eine auf einem Gehstock mit Messingknauf ruhte, waren makellos manikürt.
    Beim anschließenden Lunch beherrschte Hawthorne mühelos das Gespräch, wirkte dabei aber moderierend und wies jedem Teilnehmer, mich eingeschlossen, einen unmerklich definierten Freiraum zu, innerhalb dessen sich dieser scheinbar frei entfalten konnte. Das Gespräch drehte sich unter anderem um Politik, die mittelfristige wirtschaftliche Entwicklung, Golf und die Jagd. Erst beim Digestif wandte man sich mir zu.
    „Was schwebt Ihnen denn für Ihre Zukunft vor, Ethan?“, erkundigte sich Justice Dryden, während er seine Brille absetze, um sie mit der Serviette zu polieren.
    „Sie sollten eine Laufbahn bei Gericht einschlagen, oder wie William hier“ – er wies mit der Brille auf den Dekan – „in der Lehre. In beiden Bereichen beflügeln Sie das Recht. Als Lehrender können Sie die Wissenschaft voranbringen, jungen Menschen eine große Inspiration sein und so die Zukunft unseres Landes mitgestalten.
    Mir persönlich sagt allerdings das Richteramt mehr zu. Denn unter uns gesagt: Als Richter stehen Sie felsengleich auf festem Grund und können sich über die Meinungen hinwegsetzen, die von den Elfenbeintürmen der Professoren und den Bürotürmen der Anwälte zu Ihnen herunterschallen.
    Vergessen Sie den Gedanken von der bloßen Erkenntnis der bestehenden Rechtslage und vergegenwärtigen Sie sich die schöpferische Aufgabe des Richters: Der Gesetzgeber gibt Ihnen zwar den groben Rahmen vor, aber Sie erarbeiten in Ihrem Urteil die auf den konkreten Fall bezogene Rechtsnorm. Sie selbst erschaffen auf diese Weise Recht. Das ist eine höchst ehrenwerte und verantwortungsvolle Aufgabe.
    Hinzu kommt:“ – er sah dabei zu Hawthorne hinüber – „Sie müssen sich nicht mit diesen gierigen Halsabschneidern herumärgern, die nur den eigenen Vorteil suchen und denen Sie helfen sollen, sich über alle Grenzen hinwegzusetzen.
    Ich habe auch einmal eine Zeit lang als Anwalt gearbeitet. Glauben Sie mir: Man kann darauf verzichten. Das Richtergehalt reicht allemal aus, um mit Ihrer Familie ein angenehmes Leben zu führen. Eventuell noch ein Vortragshonorar hier und da und dann stimmt die Richtung.
    Entscheiden Sie mit Bedacht, Ethan, welches Ziel Sie ansteuern. Ein Mann von Ihren Talenten hat geradezu die heilige Verpflichtung, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, gleichsam als Ritter der Gerechtigkeit für diejenigen zu kämpfen, die das Recht schützen soll, für alle Bürger unserer großartigen Nation. Vielleicht wollen Sie mich gelegentlich einmal anrufen. Ich verfüge, wie Sie sich vorstellen können, über den einen oder anderen nützlichen Kontakt.
    Lassen Sie sich nicht von Leuten wie Lawrence verführen“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
    „Also Charles, bei aller Liebe. Verführen?“, erwiderte Hawthorne mit
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