Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna und Anna (German Edition)

Anna und Anna (German Edition)

Titel: Anna und Anna (German Edition)
Autoren: Charlotte Inden
Vom Netzwerk:
Woche,
    Anna
     

 

     
    Jetzt bin ich also bei meiner Anna.
    Und bei meiner Bella.
    Ich kam herein und alle lachten und taten so, als käme ich auf zwei Beinen. Dabei kam ich auf nur einem eigenen und einem fremden aus Titan.
    Doch das wollten sie sich nicht anmerken lassen. Meine liebe Bella ist schon ganz müde vom Normaltun. Sie meint es gut, aber sie macht mich noch verrückt.
    Der Benni ist ein stiller Junge. Er redet so wenig wie sein Vater. Wahrscheinlich sind die beiden so leise, weil Bella und Anna so laut sind. Benni lächelte mich also nur stumm an. Ein bisschen verlegen sah er aus und in die Augen wollte er mir auch nicht schauen. Sein Vater stand hinter ihm und benahm sich ganz genauso. Wie ein großer Benni wirkte er.
    Ich habe auch gelächelt und versucht, nicht zu bemerken, dass sie versuchten, nicht auf mein Titanbein zu gucken. Aber ich konnte nur so lange lächeln und normal tun, wie Anna nichts tat.
    Dann ist Anna auf mich zugesprungen und hat die Arme um mich geschlungen. Ungefähr auf Taillenhöhe, denn weiter langt sie nicht hinauf. So fest ihre dünnen Kinderarme konnten, hat sie mich an sich gedrückt. Und da habe ich angefangen zu weinen.
    Ich habe irgendetwas gesagt, ich weiß nicht mehr was. Ich weiß nur noch, dass auch meine Bella plötzlich die Tränen nicht mehr halten konnte. Sie hat mich umarmt, so auf Nackenhöhe, und »Ach, Mutti« geschluchzt.
    Der Benni hat nach dem Hosenbein seines Vaters gegriffen und sein Vater hat die Hand seines Sohnes gepackt. Und geheult haben sie auch, nur eben stiller als wir.
    Bella hat die Hand nach ihrem Mann ausgestreckt und dann waren wir ein Menschenknäuel mit vielen nassen Wangen und Armen und, ja, auch Beinen.
    Anna hat den Benni auf eine dicke Backe geküsst, denn an seine Backe reicht sie heran. Sie hat ihn mit einem Knall geküsst, irgendwohin musste sie ja mit ihrer Liebe. Sie küsste, es knallte und sie sagte: »Pfui, Benni, du bist ja ganz salzig.«
    Und da haben wir gelacht.
     

     
    Bella hat ihr Portemonnaie verloren.
    Anna ihren Jan.
    Und ich mein Bein.
    Ich habe am meisten Grund zu jammern, denke ich, aber im Moment ziehen wir alle ein Gesicht. Anna kann es am besten. Sie hat diesen schönen Mund, den hat sie von meiner Mutter. Es ist der Mund einer erwachsenen Frau und im Gesicht meines kleinen Mädchens macht er mir irgendwie Angst.
     
    »Oma Bloom«, hat Anna gestern gesagt. »Wie fühlt sich das so an ohne Bein?«
    Ich wollte erst sagen: Danke, es geht. Weil ich auf alle Fragen nach meinem Befinden antworte: Danke, es geht.
    Ich weiß aber, dass Anna mit so einer Antwort nicht zufrieden wäre. Also dachte ich über ihre Frage nach und suchte nach einer Antwort, die stimmt.
    Schließlich sagte ich: »Es fühlt sich manchmal so an, als wäre das Bein noch da. Dann freue ich mich. Dann merke ich aber, dass das Bein doch nicht mehr da ist, und werde traurig, weil mir ein Stück von mir fehlt. Mir fehlt mein linkes Bein zum Gehen und zum Tanzen, zum Auf-die-Leiter-in-den-Apfelbaum-Klettern und zum Die-Treppe-in-den-Keller-Hinuntersteigen, selbst zum Im-Bett-Herumdrehen fehlt es mir.« Ich schwieg, bevor ich erklärte: »Es fehlt ein Stück von mir und das tut weh. Aber ich versuche, ohne klarzukommen.«
    Anna hörte sich meine Antwort an und dachte dann mindestens so lange darüber nach wie ich zuvor. Schließlich sagte sie: »Dann weiß ich genau, wie du dich fühlst.«
    Hätte ich meine Anna nicht gekannt, hätte ich gesagt: Wie das? So aber wartete ich einfach ab und bekam prompt die Erklärung geliefert.
    »Ich fühle mich auch einbeinig«, sagte mein Enkelin. »Es fehlt ein Stück von mir und das tut weh. Hier tut es weh.« Sie legte die Hand auf ihr Herz. »Seit der Jan fort ist, ist das so. Manchmal vergesse ich, dass im Haus am Ende der Straße nur noch sein Vater wohnt. Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich alleine Tore schießen und in die Kastanie klettern muss, und ich bin traurig. Mama sagt, es wird besser und irgendwann nicht mehr so wehtun und ich muss so lange versuchen, damit zurechtzukommen. Und das versuche ich. Wie du.«
    Sie sah mich an und dieser schöne Mund in ihrem kleinen Gesicht zitterte. Ich habe ihn feste geküsst und gesagt: »Wir haben denselben Namen, kleine Anna Bloom, warum sollen wir uns nicht auch beide einbeinig fühlen?«
     

     
    Wir sind die einbeinigen Piraten vom Rosensteg. Das hat sich natürlich Anna ausgedacht.
    »Piraten«, hat sie gesagt, »sind immer einbeinig. Oder sie haben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher