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Anna und Anna (German Edition)

Anna und Anna (German Edition)

Titel: Anna und Anna (German Edition)
Autoren: Charlotte Inden
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nur ein Auge. Oder nur eine Hand. Alles auf einmal ist natürlich zu viel.«
    Also sind wir schlicht einbeinige Piraten. Wir haben einen Schatz unter der Kastanie vergraben. Das ließ mich an das Grab unter dem Apfelbaum denken, aber ich habe es Anna nicht verraten.
    Anna hat ein goldenes Kettchen in der Erde versenkt. Ich musste es in eine leere Pralinenschachtel legen und sie hat sie verbuddelt.
    Dass ihr Kettchen von Jan ist, hat sie mir nicht gesagt. Aber ich habe es auch so erraten.

 

     
    Mit wem soll ich hier reden?
    Selbst meiner kleinen Anna kann ich nicht alles erzählen. Was ich meiner kleinen Anna nicht erzählt habe, ist, wie sehr mir mein Bein fehlt, wenn ich vor dem Spiegel stehe.
    Ich war einmal jung und ich war einmal schön. Heute bin ich alt. Aber hässlich bin ich erst, seit ich die einbeinige Anna wurde.
     

     
    Anna hat mich erwischt.
    »Was schreibst du denn da?«, hat sie mich gefragt, gerade als ich die hässliche Wahrheit von der hässlichen Anna aufs Papier bannte. »Tagebuch?«
    Für einen Sekundenbruchteil habe ich gezögert. Weil ich meine Anna aber nicht anlüge, musste ich antworten: »Nein, nicht so richtig Tagebuch.«
    »Nicht so richtig? Wie meinst du das?«
    »Ich schreibe Briefe«, sagte ich und versuchte, die Briefbögen zusammenzuschieben und ganz hinten im Dunkel des Sekretärs bei den anderen zu verstecken.
    Anna stand aber immer noch neben mir und das nicht nur einfach so, sondern mit zusammengezogenen Brauen und schief gelegtem Kopf. Kein gutes Zeichen.
    »Und an wen schreibst du?«, verlangte sie zu wissen.
    »An jemanden, den ich mal kannte.«
    »Und«, bohrte Anna weiter, »willst du denn gar nicht, dass er liest, was du ihm schreibst?«
    Vertrau auf meine Enkelin, mich das zu fragen, was ich mich nicht selbst zu fragen traue. Geschweige denn zu beantworten.
    »Doch«, sagte ich und fühlte mich wie von einem Gewicht befreit, »ich will schon, dass er meine Briefe liest.«
    »Ja aber, Oma«, rief sie da aus. »Warum versteckst du sie denn dann alle in deinem Schreibtisch?«
    Eine lange Weile saß ich einfach nur da. Dann griff ich nach ihrer kleinen Hand und hielt sie fest in meiner. Nicht so sehr, weil sie den Trost brauchte, sondern mehr, weil ich ihn brauchte.
    Anna verstand das. »Oma«, sagte sie ehrfürchtig. »Du hast ja Angst.«
    Ich verfluchte die Tatsache, dass ich sie nicht belügen kann.
    »Ja«, sagte ich ergeben. »Das stimmt.«
    »Weil du denkst, er antwortet nicht.«
    »Ja«, sagte ich. »Das stimmt auch. Unter anderem.«
    »Du musst ihm die Briefe schicken«, entschied sie. »Sei nicht feige! Du bist doch ein einbeiniger Pirat vom Rosensteg!«
    »So, so«, sagte ich. »Und wer schreibt einem gewissen jungen Herrn in Amsterdam nicht mehr? Wer hat einfach aufgegeben?«
    Da wollte Anna die schöne Unterlippe vorschieben, aber ich rief: »Nein, nein, schmollen gilt nicht. Piraten schmollen auch nicht.«
    Das hat gewirkt und Anna und ich haben einen Pakt geschlossen. »Piraten machen das so«, hat sie gesagt.
    Also sind wir mit zwei Umschlägen zur Post gegangen. Anna auf zwei echten Beinen und ich auf einem echten und einem aus Titan. Auf allen beiden aber habe ich mächtig gezittert, als ich meinen Umschlag schließlich in den Briefkasten fallen ließ.
     

     
    Unser Ausflug zur Post hat meine Bella so ermutigt, dass sie uns zum Einkaufen schicken wollte.
    »Wir brauchen Milch«, sagte sie flehend. Das Flehen galt natürlich nicht der lächerlichen Milch. Hätte der große Benni halt seinen Kaffee einmal schwarz getrunken. Und der kleine Benni sein Müsli einmal trocken geknuspert. Das Flehen galt vielmehr meiner Person. Bella will mich nämlich wieder hinausschicken in die Welt, nur eben auf einem Bein anstatt auf zweien.
    Ich wollte ihr antworten: Was interessiert mich deine Milch? Ich kann darauf verzichten.
    Ich wollte sagen: Benimm dich nicht wie eine Glucke, gestern warst du noch das Küken.
    Ich wollte sagen: Ich liebe dich auch, aber ich geh da nicht raus.
    Da sagte Anna: »Klar können wir Milch kaufen. Komm, Oma.«
     

     
    Der Supermarkt liegt nur zwei Straßen entfernt.
    Wir mussten trotzdem ein kariertes Wägelchen auf zwei Rollen mitnehmen. Ich weiß überhaupt nicht, warum Bella so etwas hat. Nicht mal ich hatte so etwas, als ich noch alleine lebte und aus dem Haus ging, und dabei bin ich alt.
    Ich wollte mich gerade weigern, das Ding anzufassen, da packte Anna schon den Griff und zog los.
    Wir gingen nebeneinander her. Anna mit dem
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