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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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Leute ziehen weiter, verbrennen, zerfallen zu Staub oder werden als Mistkäfer wiedergeboren. Sie haben ihre Wut verbraucht, solange sie noch am Leben waren.
    Das Gänseblümchen erzählte mir noch mehr über Anna, er sprach immer lauter und war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen. Ich war nicht sicher, ob ich lachen oder genervt sein sollte.
    »Na gut, was macht sie jetzt?«
    Er hielt inne. »Sie hat siebenundzwanzig Jugendliche getötet … Und das sind nur die, von denen ich weiß.«
    Siebenundzwanzig Jugendliche im letzten halben Jahrhundert. Das klang schon wieder wie ein Märchen, oder es war die seltsamste Desinformation der Menschheitsgeschichte. Niemand tötet siebenundzwanzig Jugendliche, ohne von einer Meute mit Fackeln und Mistgabeln in eine Burg gescheucht zu werden. Nicht einmal ein Geist.
    »Siebenundzwanzig Jugendliche aus der Gegend? Du machst Witze. Keine Vagabunden oder Ausreißer?«
    »Also …«
    »Also was? Da hat dir jemand einen Bären aufgebunden, Bristol.« Ich wusste selbst nicht, woher die Bitterkeit in meiner Stimme kam. Spielte es denn eine Rolle, wenn der Hinweis falsch war? Ich hatte noch fünfzehn andere Gespenster auf der Warteliste, unter anderem einen Typ namens Grizzly Adams aus Colorado, der rings um einen Berg Jäger umbrachte. Das klang lustig.
    »Die Leichen wurden nie gefunden«, erklärte Gänseblümchen aufgeregt. »Die Eltern denken anscheinend, die Kinder seien weggelaufen oder entführt worden. Nur die anderen Kinder könnten etwas über Anna erzählen, aber natürlich halten sie alle den Mund. Das weißt du doch so gut wie ich.«
    Allerdings. Ich wusste Bescheid, und mir wurde eines klar: An Annas Geschichte war mehr dran, als das Gänseblümchen mir verriet. Ich wusste nicht, was
es war, nennen Sie es Intuition. Vielleicht ihr Name, der rot auf dem Zettel stand. Vielleicht hat Gänseblümchens billiger, masochistischer Trick am Ende doch funktioniert. Jedenfalls wusste ich es, und ich weiß es immer noch. Ich spüre es im Bauch, und mein Vater hat mir immer gesagt, dass man genau zuhören soll, wenn der Bauch etwas erzählt.
    »Ich sehe mir die Sache mal an.«
    »Fährst du hin?« Da war wieder der aufgeregte Unterton. Er kam mir vor wie ein Beagle, der darauf wartet, dass jemand einen Ast wirft.
    »Ich sagte, ich sehe mir die Sache mal an. Zuerst muss ich hier noch was erledigen.«
    »Was denn?«
    Ich erzählte ihm in knappen Worten von dem Anhalter im County 12. Er machte einige dümmliche Bemerkungen darüber, wie man ihn aus der Deckung locken könnte, die ich schnell wieder vergessen habe. Dann versuchte er wie üblich, mich nach New Orleans einzuladen.
    Um diese Stadt mache ich aus gutem Grund einen weiten Bogen. Sie ist durch und durch befallen und verseucht. Die Gespenster lieben keine Stadt auf der Welt so sehr wie diese. Manchmal mache ich mir Sorgen um das Gänseblümchen. Jemand könnte Wind davon bekommen, dass er mit mir redet und mich mit Tipps versorgt. Eines Tages muss ich dann ihn jagen, weil er seine abgetrennten Gliedmaßen durch ein Lagerhaus schleppt, nachdem er irgendjemandem zum Opfer gefallen ist.
    An diesem Tag habe ich ihn angelogen. Ich wollte mir die Sache nicht näher ansehen. Als ich auflegte, war mir bereits klar, dass ich Anna jagen würde. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass mehr hinter der Geschichte steckte. Außerdem wollte ich ihr blutrotes Kleid sehen.

Mein erster Eindruck ist, dass die Sir Winston Churchill Collegiate & Vocational sich nicht groß von den anderen Highschools unterscheidet, die ich in den Vereinigten Staaten bisher besucht habe. Die erste Stunde habe ich mit der Beratungslehrerin Miss Ben verbracht, um meinen Stundenplan zusammenzustellen. Sie ist eine freundliche junge Frau, die einem Vogel ähnelt und bestimmt eines Tages schlabbrige Rollkragenpullover tragen und zu viele Katzen besitzen wird.
    Auf dem Flur starren mich alle an. Ich bin neu und anders, aber das ist nicht alles. Heute beäugt jeder jeden, weil es der erste Schultag ist und die Schüler wissen wollen, was im Laufe des Sommers aus ihren Klassenkameraden geworden ist. Im Haus laufen unter Garantie mindestens fünfzig Generalüberholungen und tiefgreifende Stilwechsel herum. Der Bücherwurm mit dem Teiggesicht hat sich die Haare weiß gebleicht und trägt ein Hundehalsband. Der dürre Typ aus der Leichtathletikmannschaft hat den Juli und August mit Gewichtheben verbracht und bevorzugt jetzt eng sitzende T-Shirts.
    Trotzdem, die Blicke der
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