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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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erledigen, hatte aber damit zu tun, Beziehungen zu einigen Geschäftsleuten in der Stadt aufzubauen, damit diese für ihre Wahrsagerei werben und vielleicht sogar ihre okkultistischen Gerätschaften vertreiben. Anscheinend gibt es außerhalb der Stadt eine Kerzenzieherin, die eingewilligt hat, eine spezielle Ölmischung meiner Mutter einzuarbeiten. Gewissermaßen ein Kerzenzauber aus der Schachtel. Sie wollen diese neuen Produkte in der Stadt anbieten, und Mom will sie außerdem ihrer Telefonkundschaft verkaufen.
    »Was ist das denn für eine Frage? Ist noch Marmelade da?«
    »Erdbeere oder etwas, das sich Saskatoon nennt und nach Blaubeere aussieht.«
    Ich schneide eine Grimasse. »Dann probiere ich Erdbeere.«
    »Lebe gefährlich. Versuch’s doch mal mit Saskatoon.«
    »Ich lebe gefährlich genug. Wie war das jetzt mit den trojanischen Pferden?«
    Sie stellt einen Stapel Pfannkuchen und Toastbrot vor mir ab, die mit etwas bestrichen sind, bei dem es sich hoffentlich um Erdbeermarmelade handelt.
    »Reiß dich zusammen, Junge. Ich rede von den Schulmaskottchen. Willst du zur Sir Winston Churchill oder lieber zur Westgate Collegiate gehen? Anscheinend sind von hier aus beide in der Nähe.«
    Ich seufze. Das ist doch völlig egal. Ich sitze einfach den Unterricht ab, bestehe die Prüfungen und wechsle die Schule. Genau wie immer. In erster Linie bin ich doch hier, um Anna zu töten. Aber ich sollte mir ein wenig Mühe geben und ihr zuliebe so tun, als wäre es mir wichtig.
    »Dad hätte wohl gewollt, dass ich ein Trojaner werde«, überlege ich leise. Sie hält kurz mit dem Sieb inne und schiebt den letzten Pfannkuchen auf ihren Teller.
    »Dann melde ich dich an der Winston Churchill an«, sagt sie. Was für ein Glück, ich habe mir den edleren Namen ausgesucht. Aber wie gesagt, es ist egal. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier. Die Sache ist mir förmlich in den Schoß gefallen, als ich den Anhalter vom County 12 noch nicht erwischt hatte.
    Interessanterweise kam es per Post. Mein Name und meine Anschrift auf einem kaffeefleckigen Umschlag, und darin nur ein Stück Papier mit Annas Namen. Der Name war mit Blut geschrieben. Solche Hinweise
bekomme ich aus dem ganzen Land, sogar aus der ganzen Welt. Es gibt nicht viele Menschen, die das tun können, was ich tue, aber es gibt sehr viel mehr Leute, die wollen, dass ich es tue. Sie fragen diejenigen, die Bescheid wissen, suchen mich und folgen meiner Spur. Wir ziehen zwar oft um, aber wenn man sich bemüht, bin ich leicht zu finden. Mom schreibt die aktuellen Daten auf ihre Website, und wir teilen immer ein paar alten Freunden meines Vaters unsere neue Adresse mit. Zuverlässig wie ein Uhrwerk wandert gewissermaßen jeden Monat eine Horde Geister über meinen Schreibtisch: eine E-Mail über Leute, die in Norditalien im Umfeld einer satanistischen Sekte vermisst werden, ein Zeitungsausschnitt über geheimnisvolle Tieropfer in der Nähe eines Ojibwa-Grabhügels. Ich traue nur wenigen Quellen – hauptsächlich sind es Kontaktpersonen meines Vaters und die Ältesten in dem Zirkel, dem er auf dem College angehörte, oder Gelehrte, die er auf seinen Reisen und durch seinen Ruf kennengelernt hat. Bei ihnen kann ich darauf vertrauen, dass sie mich nicht in die Irre führen. Sie erledigen ihre Hausaufgaben.
    Im Laufe der Jahre habe ich natürlich auch ein paar eigene Kontakte geknüpft. Als ich die gekritzelten roten Buchstaben betrachtete, die wie verschorfte rote Krallenabdrücke quer über das Papier liefen, war mir sofort klar, dass der Hinweis von Rudy Bristol stammte. Diese Theatralik und das vergilbte Pergament, das aus einem Horrorfilm zu stammen schien. Als wollte er mich glauben machen, das Gespenst habe die Botschaft
selbst geschrieben, den Namen mit dem Blut eines Opfers auf einen Zettel gekritzelt und ihn mir geschickt wie eine Einladung zum Abendessen.
    Rudy »das Gänseblümchen« Bristol ist ein unverbesserlicher Gothic-Typ aus New Orleans. Er arbeitet als Barkeeper im French Quarter, ist ungefähr Mitte zwanzig und wünscht sich, er wäre immer noch sechzehn. Er ist dürr, bleich wie ein Vampir und hat eine Vorliebe für Netzhemden. Bisher hat er mich auf drei gute Geister aufmerksam gemacht. Es waren schöne, schnelle Einsätze. Einer hatte sich in einem Erdkeller aufgehängt, er flüsterte durch die Dielenbretter hinauf und verlockte die neuen Bewohner des Hauses, ihm unter die Erde zu folgen. Ich ging da rein, schlitzte ihm den Bauch auf und ging wieder
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