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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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Doch diese Szene und vieles andere, was ich in Deutschland sah, haben mir eindringlich vor Augen geführt, daß die ganze Vorstellung von Vergeltung und Bestrafung eine kindische Traumvorstellung ist. Strenggenommen gibt es so etwas wie Vergeltung oder Rache gar nicht. Rache ist eine Handlung, die man begehen möchte, wenn und weil man machtlos ist: Sobald aber dieses Gefühl des Unvermögens beseitigt wird, schwindet auch der Wunsch nach Rache.
Wer wäre nicht 1940 bei dem Gedanken, SS-Offiziere mit Füßen getreten und erniedrigt zu sehen, vor Freude in die Luft gesprungen? Doch wenn dieses Handeln möglich wird, erscheint es einem nur noch pathetisch und widerlich.«
     
    Und dann, im selben Essay, erzählt Orwell noch, wie er wenige Stunden nach der Einnahme Stuttgarts zusammen mit einem belgischen Korrespondenten in die Stadt hineinging. Der Belgier – wer kann ihm das verübeln? – hatte den Deutschen gegenüber eine noch schroffere Ablehnung als ein Engländer oder Amerikaner.
     
»… wir mußten über eine schmale Fußgängerbrücke gehen, die die Deutschen offensichtlich heftig verteidigt hatten. Ein gefallener Soldat lag ausgestreckt auf dem Rücken am Fuß der Brückenstufen. Sein Gesicht hatte eine wachsgelbe Farbe…
Der Belgier wendete sein Gesicht ab, als wir vorbeigingen. Wir waren schon fast über die Brücke, da gestand er mir, daß dies der erste Tote war, den er in seinem Leben gesehen hatte. Ich glaube, er war etwa fünfunddreißig Jahre alt und hatte vier Jahre lang Kriegspropaganda über das Radio gemacht.«
     
    Dieses eine Erlebnis des »Ankommens« wird für den Belgier entscheidend. Seine Haltung den »Boches« gegenüber ändert sich von Grund auf:
     
»… Als er abreiste, gab er den Deutschen, bei denen wir einquartiert waren, den Rest des Kaffees, den wir mitgebracht hatten. Noch vor einer Woche wäre er wahrscheinlich schockiert gewesen bei dem Gedanken, einem ›Boche‹ Kaffee zu schenken. Aber seine ganze gefühlsmäßige Einstellung, so erzählte er mir, hätte sich beim Anblick dieses ›pauvre mort‹ am Fuße der Brücke gewandelt: Ihm sei plötzlich die Bedeutung des Krieges zum Bewußtsein gekommen. Doch wenn wir die Stadt nun zufällig über einen anderen Zugang betreten hätten, wäre ihm womöglich sogar dieses Erlebnis des Anblickes eines einzigen Toten von den – vielleicht – zwanzig Millionen erspart geblieben, die dieser Krieg zur Folge hatte.«
     
    Doch zurück zum eigentlichen Thema. Wenn also nicht einmal Rache süß ist, wieviel weniger dann noch das Ankommen am vermeintlich glücklichen Ziel? Deshalb: Vor Ankommen wird gewarnt. (Und nebenbei bemerkt: Warum, glauben Sie wohl, nannte Thomas More jene ferne Insel der Glücklichkeit Utopia , das heißt »Nirgendwo «?)

Wenn du mich wirklich
liebtest, würdest du
gern Knoblauch essen  
     
     
    L ’enfer, c’est les Autres (die Hölle, das sind die anderen) heißt es gegen Schluß von Sartres Theaterstück Huis clos . Wenn Sie, lieber Leser, den Eindruck haben, daß dieses Thema bisher auch nicht annähernd zur Sprache gekommen ist, daß wir uns bisher hauptsächlich mit Unglücklichkeit sozusagen in Eigenregie befaßten, haben Sie eigentlich recht. Es ist an der Zeit, uns der barocken Hölle menschlicher Beziehungen zuzuwenden.
    Versuchen wir, an das Thema einigermaßen methodisch heranzugehen. Schon vor etwa 90 Jahren wies Bertrand Russell darauf hin, daß Aussagen über Dinge und Aussagen über Beziehungen streng zu trennen sind. »Dieser Apfel ist rot« ist eine Aussage über eine Eigenschaft dieses Apfels. »Dieser Apfel ist größer als jener« ist eine Aussage, die sich auf die Beziehung zwischen den beiden Äpfeln bezieht und die daher nichts mit dem einen oder dem anderen Apfel allein zu tun hat. Die Eigenschaft des Größerseins ist keine Eigenschaft eines der beiden Äpfel, und es wäre glatter Unsinn, sie einem der beiden zuschreiben zu wollen.
    Diese wichtige Unterscheidung wurde später vom Anthropologen und Kommunikationsforscher Gregory Bateson aufgegriffen und weiterentwickelt. Er stellte fest, daß in jeder Mitteilung immer beide Aussagen enthalten sind; oder in anderen Worten, daß jede Kommunikation eine Objekt- und eine Beziehungsebene hat. Damit hat er uns geholfen, besser zu verstehen, wie man mit einem Partner – irgendeinem Partner, aber je näher desto besser – rasch in Schwierigkeiten kommen kann. Nehmen wir an, eine Frau fragt ihren Mann: »Diese Suppe ist nach
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