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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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morgens lieber erst gar nicht aufzustehen. Aber welchen Schutz bietet das Bett schon gegen Erdbeben? Und was, wenn das dauernde Liegen zum Wundliegen (Dekubitus) führt?
    Doch ich übertreibe. Nur wenigen ganz großen Könnern gelingt es, so vernünftig zu werden, daß sie alle erdenklichen Gefahren begreifen und zu vermeiden beginnen – einschließlich Verpestung der Luft, Verseuchung des Trinkwassers, Cholesterin, Triglyzeride, karzinogene Substanzen in Lebensmitteln und hunderterlei weitere Gefahren und Gifte.
    Der Durchschnittsmensch bringt es meist nicht fertig, seine Vernunft zu dieser allumfassenden Weltschau und zur Vermeidung jeder Gefahr vorzutreiben und auf diese Weise zum hundertprozentigen Wohlfahrtsempfänger zu werden. Wir Minderbegabte müssen uns meist mit Teilerfolgen bescheiden, die aber durchaus genügen können. Sie bestehen in der konzentrierten Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf ein Teilproblem: Mit Messern kann man sich verletzen, daher soll man sie vermeiden; Türklinken sind tatsächlich mit Bakterien bedeckt. Wer weiß, ob man mitten im Symphoniekonzert nicht doch plötzlich auf die Toilette muß oder ob man das Schloß beim Nachprüfen nicht irrtümlich aufgeschlossen hat? Der Vernünftige vermeidet daher scharfe Messer, öffnet Türen mit dem Ellbogen, geht nicht ins Konzert und überzeugt sich fünfmal, daß die Tür wirklich abgesperrt ist. Voraussetzung ist allerdings, daß man das Problem nicht langsam aus den Augen verliert. Die folgende Geschichte zeigt, wie man das vermeiden kann:
    Eine alte Jungfer, die am Flußufer wohnt, beschwert sich bei der Polizei über die kleinen Jungen, die vor ihrem Haus nackt baden. Der Inspektor schickt einen seiner Leute hin, der den Bengeln aufträgt, nicht vor dem Haus, sondern weiter flußaufwärts zu schwimmen, wo keine Häuser mehr sind. Am nächsten Tage ruft die Dame erneut an: Die Jungen sind immer noch in Sichtweite. Der Polizist geht wieder hin und schickt sie noch weiter flußaufwärts. Tags darauf kommt die Entrüstete erneut zum Inspektor und beschwert sich: »Von meinem Dachbodenfenster aus kann ich sie mit dem Fernglas immer noch sehen!«
    Man kann sich nun fragen: Was macht die Dame, wenn die kleinen Jungen nun endgültig außer Sichtweite sind? Vielleicht begibt sie sich jetzt auf lange Spaziergänge flußaufwärts, vielleicht genügt ihr die Sicherheit, daß irgendwo nackt gebadet wird. Eines scheint sicher: Die Idee wird sie weiterhin beschäftigen. Und das Wichtigste an einer so fest gehegten Idee ist, daß sie ihre eigene Wirklichkeit erschaffen kann. Dieses Phänomen soll uns als nächstes beschäftigen.

Selbsterfüllende
Prophezeiungen  
     
     
    I hr Horoskop in der heutigen Zeitung warnt Sie (und ungefähr 300 Millionen andere im selben Tierkreiszeichen Geborene) vor der Möglichkeit eines Unfalls. Tatsächlich passiert Ihnen etwas. Also hat es mit der Astrologie doch seine Bewandtnis.
    Oder? Sind Sie sicher, daß Sie den Unfall auch dann gehabt hätten, wenn Sie das Horoskop nicht gelesen hätten? Oder wenn Sie wirklich überzeugt wären, daß die Astrologie krasser Unsinn ist? Nachträglich läßt sich das freilich nicht klären.
    Vom Philosophen Karl Popper stammt die interessante Idee, daß – etwas laienhaft ausgedrückt – sich für Ödipus die schreckliche Prophezeiung des Orakels deswegen erfüllte, weil er von ihr wußte und ihr zu entgehen versuchte. Gerade aber das, was er zur Vermeidung tat, führte zur Erfüllung des Orakelspruchs.
    Hier hätten wir es also mit einer weiteren Wirkung der Vermeidung zu tun, nämlich ihrer Fähigkeit, unter Umständen genau das herbeizuführen, was vermieden werden soll. Und was für Umstände sind das? Erstens eine Voraussage im weitesten Sinne, also jede Erwartung, Besorgnis, Überzeugung oder ganz einfach ein Verdacht, daß die Dinge so und nicht anders verlaufen werden. Damit soll außerdem gesagt sein, daß die betreffende Erwartung entweder von außen, etwa durch andere Menschen, oder durch irgendwelche innere Überzeugungen ausgelöst werden kann. Zweitens muß die Erwartung nicht als reine Erwartung, sondern als bevorstehende Tatsache gesehen werden, zu deren Vermeidung sofortige Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Drittens ist die Annahme um so überzeugender, je mehr Menschen sie teilen oder je weniger sie anderen, vom Lauf der Dinge bereits bewiesenen Annahmen widerspricht.
    So genügt zum Beispiel die Annahme – ob sie faktisch begründet
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