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Angstfalle

Angstfalle

Titel: Angstfalle
Autoren: Elke Schwab
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kam der Schuft dazu, ihr nachzuspionieren?
    Die Glasscherben stammten von einem der kleinen Fenster direkt neben der Haustür. Zum Glück war es so klein, dass niemand durchklettern konnte. Es war außerdem mit Gitterstäben gesichert. Diese Maßnahme hatte ihr Vater schon vor Jahren getroffen, wofür sie ihm jetzt dankbar war. Trotz allem musste sie es mit einem Brett zunageln, damit die Kälte nicht ins Haus dringen konnte.
    Es ärgerte sie, sich am späten Abend noch mit solchen Unannehmlichkeiten herumärgern zu müssen. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie sich komplett im Erdgeschoss eingerichtet. Jedes der Zimmer im Obergeschoss steckte voller Erinnerungen an eine Zeit, die sie gerne vergessen würde. Ihr Entschluss sich unten einzurichten, war eine Flucht. Dessen war sie sich bewusst. Aber ein passendes Stück Holz würde sie hier nirgends finden. Also blieb ihr keine andere Wahl, sie musste nach oben gehen.
    Im ehemaligen Elternschlafzimmer sah sie einen Schatten – da stand jemand.
    Sie erschrak heftig, ihr Herz schlug wie wild, sie atmete stoßweise. Die Person gab keinen Mucks von sich. Ruhiger werdend, erkannte sie, dass es sich um die alte, graue Schaufensterpuppe handelte, die ihre Mutter zum Lüften von Kleidern genutzt hatte. Schon als Kind war ihr das Monstrum unheimlich gewesen. Warum hatte sie es nicht schon längst weggeworfen?
    Wütend stieß sie die gesichtslose Puppe um und schob sie unter das Bett.
    Sie war heilfroh, als sie schon nach wenigen Minuten Teile eines alten Schrankes fand, die für ihr Vorhaben ausreichten. Fluchtartig eilte sie nach unten und machte sich daran, die Fensteröffnung zu vernageln. Hinterher betrachtete sie ihr Werk. Zufrieden stellte sie fest, dass sie handwerkliches Geschick besaß.
    Sie widmete sich nun ihren Pflanzen, eine Beschäftigung, die sie liebte und immer ablenkte. Sie füllte ihre Gießkanne mit Wasser und betrat das benachbarte Zimmer, das zur Vorderseite des Hauses zeigte. Früher wurde es als Esszimmer genutzt, was immer noch am Mobiliar zu erkennen war. Mit Intarsien verzierte Schränke, ein langer Tisch mit geschwungenen Beinen und gepolsterte Stühle schmückten einst dieses Zimmer, was ganz der persönlichen Note ihrer Mutter entsprach. Nichts in diesem Haus hatte jemals einen Hinweis darauf gegeben, dass eine Tochter existierte. Alles, der Stil der Möbel, die Art, wie es arrangiert wurde, die Gardinen, sogar die elektrischen Geräte, wie Musikanlage und Fernseher, musste nach den Vorstellungen ihrer Mutter platziert werden. Da war kein Platz für eigene Wünsche – ›Anpassen‹ lautete Trixis Lebensmotto, um nicht dem Zorn dieser Frau ausgesetzt zu sein. Sogar die Pflanzen hatten einen höheren Stellenwert als die Tochter. Die Mutter nahm sie nur bei ihren zahlreichen Vorträgen über Pflanzen wahr. Sie beherrschte ihre Umgebung und alles unterlag ihrer Kontrolle. Sie duldete keinen Widerspruch, war immer der Meinung, dass der Mensch sich nicht grundlos evolutionsgeschichtlich zum ›homo sapiens‹ entwickelt hat und dieses Privileg deshalb auch nutzen sollte. Während ihrer Pflanzenexkursionen durch das ganze Haus hatte Trixi die Pflicht, ihr aufmerksam zuzuhören und zu lernen. Ihre Mutter behauptete schon immer, dass der Mensch Einfluss auf die Natur nehmen sollte. Dabei meinte sie die Zucht der Pflanzen unabhängig von Jahreszeit und Umweltbedingungen. Trixi hatte diese Lehrstunden gehasst. Die Sprüche klangen ihr heute noch in den Ohren.
    Obwohl ihre Mutter fest an die Unfehlbarkeit des Menschen geglaubt hatte, war es doch eine Überraschung, dass gerade sie so früh gestorben war.
    Außerdem erstaunte es Trixi jedes Mal, wenn sie ihr botanisches Refugium betrat, wie sehr sie sich heute an dem Anblick erfreuen konnte – was ihr nie gelungen war, als ihre Mutter noch lebte. War es das umfangreiche Fachwissen, das zu immer gewagteren Experimenten antrieb? Oder war es die Genugtuung, jetzt genau die Dinge tun und lassen zu können, die ihr immer verboten worden waren?
    Den großen Tisch, Mutters Augapfel benutzte sie heute als Blumenbeet. Auf den Kommoden standen nur Pflanzen, die sie selbst ausgewählt und arrangiert hatte. Sie waren nicht nur ihr Stolz, sondern auch immer wieder eine Herausforderung. Ein Ficus-Benjamini war zwischenzeitlich hoch gewachsen und musste auf dem Boden stehen, damit seine Zweige nicht an die Decke stießen. Drachenbäume in verschiedenen Größen tummelten sich auf den Kommoden, auf Sideboards und auf alten
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