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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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können.
    Liebe Helen, das Leben ist der Klartext!
    Seit er weiß, wie das ist, wenn einem jemand genommen wird, weiß er, was Du durchgemacht hast, Helen.
    Er hatte sie telefonisch um eine Liste mit den Schuhgrößen ihrer früheren Männer gebeten. Sie hatte am Tag zuvor auf seine Schuhe gezeigt und hatte gesagt: Die sind dir doch viel zu klein! Oder behandelst du deine Füße, wie es Chinesinnen tun? Sie hat ihm diese Bitte nicht erfüllt, obwohl sie im Gespräch in jedem Augenblick die Schuhgröße eines jeden Mannes, mit dem sie je geschlafen hatte, aufsagen konnte.
    Sie wußte nicht, was sie verriet, als sie sagte: Mein Herz hat nicht schneller geschlagen, als Bertram Fürst bei mir eintrat. Wer sagt, sein Herz habe dann und dann nicht schneller geschlagen, verrät, daß es schneller geschlagen hat.
    In einer bis zur beiderseitigen Erschöpfung getriebenen Diskussion setzte Joni das Ergebnis durch: Eine Frau darf nicht gezwungen werden, einem Mann etwas zu sagen, was sie um ihretwillen nicht sagen kann.
    Wenn er Joni anrief, kam auf eine Frage öfter lange keine Antwort. Dann erfuhr er, daß sie in ihrem Kalender etwas eintragen mußte, was ihr gerade eingefallen war.
    Als er einmal sagte, dieser italienische Ober gefalle ihm, den könnte er sich gut für sie vorstellen, protestierte sie. Genau den nicht! Sie werde ihm, sobald ein Mann auftauchte, der für sie in Frage käme, den zeigen. Das verletzte ihn. Er wollte sich vorstellen, es gebe keinen Mann und keinen Mannstyp, den sie sich vorstellen könnte als ihren Mann.
    Als er Joni ein altes Foto zeigte, weil er stolz war auf den zweireihigen Anzug, den er damals getragen hatte, sagte sie: Du hast gut ausgesehen. Da fiel ihm erst ein, wie falsch es war, ihr dieses Foto zu zeigen.
    Als Joni ihm riet, Dir gegenüber mild zu sein, wußte er, daß sie ihn loswerden wollte.
    Schon wenn jetzt am Telefon eine Sekretärin sagt, ich verbinde Sie, hört er, diese Frau könnte ihn ganz und gar aufnehmen, daß er nirgends mehr wäre als bei ihr. Ich verbinde Sie, sagt sie, weil sie weiß, wie er blutet.
    Vorletzte Woche hat er, wahrscheinlich um sich beweglich vorzukommen, ganz schnell einen London-Flug gebucht. In South-Kensington lebt ja immer noch Mr.   Keeney, dem er vor fünfzehn Jahren abgeraten hat, sich am Wettbieten für die zwölf Interhotels zu beteiligen. Die Londoner Warburg Bank hatte von der Treuhand den Auftrag, die DDR-Interhotels zu verkaufen. Ein Heidelberger Bauträger hatte schon die Hypo und die Dresdner zusammengespannt. Sie boten zusammen 1,7 Milliarden. Einer aus Berlin bot 2,1 Milliarden. Von zwanzig Anbietern, darunter auch Sixt, war Mr.   Keeney der zweite. Er hatte schon einem Frankfurter Finanzmann vorgeschlagen, ihr Angebot zusammenzulegen. Mit dessen 500 Millionen wäre Mr.   Keeney der erste gewesen. Und er, der sich gerade von der Hypo losgesagt hat, ruft Mr.   Keeney an. Dessen Konto hatte er, als er noch bei der Hypo war, im Privatkundengeschäft immer aufs beste betreut. Er wisse, sagt er zu Mr.   Keeney, genug über die Interhotels, um abraten zu können, abraten zu müssen. Mr.   Keeney zog sein Angebot zurück. Der, der mit Hilfe der Deutschen Bank den Zuschlag erhielt, war dann ganz schnell bankrott, die Deutsche Bank blieb auf den maroden Interhotels sitzen, und Mr.   Keeney überwies, ohne daß er dazu verpflichtet gewesen wäre, einhunderttausend Mark. Das sei weniger als ein Zehntel dessen, was er durch den guten Rat gerettet habe. Und immer an Weihnachten und Neujahr Grüße hin und her. Und in dem seit zweihundertfünfzig Jahren von der Familie Keeney sorgsam gehüteten Haus am Thurloe Square in Kensington war er ein stets willkommener Gast. Dergleichen brauchte er jetzt. Also gebucht und hinaus und in der Lounge auf den Abflug, den verspäteten, gewartet. Zurückgelehnt, wie es die Polsterbänke durch ihre schrägen Lehnen verlangen. Dem Boarding entgegengedämmert. Plötzlich erhob sich ein Mädchen, eine Mädchenfrau, sehr groß und genauso blond, den Kopf hochgereckt, so hoch als möglich. Ging in dunklen Stiefeln. Ein Rot, das Schwarz sein wollte. Ein heller, ihren Schritt für Schritt schreitenden Gang umwehender Rock. Der Rock nützte nichts. Immer wieder brechen die Schenkel ins Freie, waren, bis er wieder hinzuschauen wagte, schon wieder ins Freie getreten. Die kurze, die Figur genau fassende Jacke machte aus der Schreitenden eine schreitende Statue. Das Blond fiel in kleinen Wellen auf diese Jacke nieder
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