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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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Aufschläge und dann sofort vor ans Netz. Karl freute sich über jeden Technikimport. Je mehr Lambert ihm abverlangte, desto fröhlicher wurde er. Das war doch das reine Glück, dieses ernsthafte Gegeneinanderspielen. Wenn es einmal zweifelhaft war, ob der Ball die Linie noch berührt habe, konnte durchaus Streit entstehen. Sie waren ja Freunde geworden, und Freunde, die nicht streiten, sind keine Freunde. Um so beglückender dann, wenn sie nach einem Streit zurückfanden ins Spiel. Karl wußte immer: Wenn Lambert einmal aufhören würde zu spielen, würde er auch aufhören. Lambert war fünf Jahre jünger als Karl. Nach jedem Spiel pflegten sie den nächsten Termin zu verabreden. Für Lambert wurde es immer schwieriger, noch einen Termin zu finden. Seit Lambert in zwei Etagen in der Brienner Straße residierte, war er praktisch unerreichbar. Karl las in der Zeitung, daß Lambert keine Messe mehr ausließ. In Basel, in Paris, in Maastricht, Hannover, Salzburg und natürlich in München und sonstwo zeigte Lambert seine Potenz als Meister des Kunst- und Antiquitätenhandels. Seine Stände waren immer die größten. Aber daß er inzwischen mehr Zeit mit Gundi in deren Haus auf Menorca verbrachte, verhinderte Tennis gründlicher als alle Geschäfte zusammen. Lambert hatte offenbar Gundis Haus und Anwesen dort ins Großartige gesteigert. Auch einen Tennisplatz hatte er anlegen lassen, obwohl Gundi Tennis eher verachtete. Es sei ein Sport für Marionetten, hatte sie formuliert. Und Lambert hatte den Satz stolz lachend Karl weitergesagt.
    Lambert hieß Lambert, bis er Gundi oder bis Gundi Lambert entdeckte. Sie nannte ihn von Anfang an Diego. Nach der Hochzeit erklärte sie, sie könne ihren Mann nicht mit einem Namen rufen, mit dem andere – und sie meinte die beiden Frauen, mit denen Lambert vor ihr verheiratet gewesen war – ihn gerufen hätten. Lambert war gerührt. Das war doch ein Liebessturm. Daß sie in der Villa in der Menterschwaige alle Schlösser ersetzen ließ, konnte eine praktische Maßnahme sein. Aber sie ließ alles ersetzen und erneuern, was durch eine ihrer beiden Vorgängerinnen ins Haus gekommen war. In ein paar Wochen hatte sie, ohne daß Lambert das jedesmal gleich begriff, herausgefragt, daß alle Keshans durch die erste Frau, und alles, was Biedermeier war, durch die zweite Frau ins Haus gekommen war. Hinaus damit. Lambert erlebte jede Säuberungswelle als Liebesbeweis der einundzwanzig Jahre jüngeren Gundi.
    An dem, was Diego im ersten Stock der Villa präsentierte, konnte Gundi keinen Anstoß nehmen. Der Sängersaal , das war der erste Stock der Villa, die der Erfinder Ruckstuhl dem Schloß Neuschwanstein nachbauen ließ. Von Diego Bonsai-Neuschwanstein getauft. Mit dem Sängersaal hatte Diego die Bühne gefunden, die er für seine Selbstentfaltung brauchte. Seit er das Schlößchen hatte, spürte man förmlich seinen Ehrgeiz, jeden Abend für die Eingeladenen zum Ereignis werden zu lassen. Wie das dann ablief, wirkte kein bißchen vorbereitet. War es wahrscheinlich auch nicht. Er ließ immer erleben, was er gerade erlebt hatte. Wenn er in einem Buch Voltaires Satz entdeckt hatte Le superflu, chose très nécessaire , dann mußte er diesen Satz doch weitersagen und dazusagen, daß er in diesem Satz das Motto seiner Lebensarbeit und Lebensstimmung ausgedrückt sehe und daß seine Freunde, bitte, nicht über ihn lächeln mögen, wenn sie diesem Satz von jetzt an auf allen seinen geschäftlichen Papieren in bekenntnishafter Verwendung begegnen werden. Daß das Überflüssige das Notwendige sei, und das von Voltaire, seinem Hausheiligen, darauf trinken wir den Wein, den Voltaire zu schätzen wußte: Corton Charlemagne, zum Wohl.
    Diego erfaßte, womit den jeweils Eingeladenen zu entsprechen, ja zu dienen war. Und er entsprach, er diente! Die Eingeladenen, das waren seine Freunde und solche, die es werden sollten. Das waren Damen und Herren, die auch als Kunden in Frage kamen.
    Der Sängersaal hatte seine sechs säulengefaßten Rundbogenfenster zur Isar hin. Auf der sogenannten Galerieseite präsentierte Diego das, was er gerade am schönsten fand, also am heftigsten empfahl, seinen Kunden empfahl. Den Auserwählten. Es war ein Privileg, ins Bonsai-Schloß eingeladen und dort in den Sängersaal geführt zu werden. Auch jetzt noch, nachdem er sein Ladengeschäft aus der sanften Theresienstraße in die knallharte Brienner Straße verlegt hatte, um seinen Kunsthändlerrang unmißverständlich zu
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