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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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hieß das, sie wollte die Finanzierung aus ihrem Schering- Portfolio herübergeholt wissen, weil sie in der Süddeutschen gelesen hatte, Schering sei mit Yasmin und Mirena zum Weltmarktführer bei den Verhütungsmitteln aufgestiegen. Da wollte sie nicht mehr dabeisein. Das konnte ihr Karl nur mit einer Einschränkung zusagen. Er werde ihre Schering- Aktien erst verkaufen, wenn sich die gerade vom Schering- Chef verkündeten Rekordergebnisse und die dazu gelieferte Zukunftsvision, daß nämlich von jetzt an der Gewinn stärker wachsen solle als der Umsatz, in einer Kurssteigerung bemerkbar gemacht haben wird. Da es dann aber für den günstigen Einstiegskurs bei Paion zu spät sein könne, werde er den Einstieg für die Gnädige Frau mit deren Erlaubnis per Kredit finanzieren. Kredite lungerten ja zur Zeit auf dem Markt herum und bettelten förmlich darum, aufgenommen zu werden. Da er aber immer das ganze Portfolio der Gnädigen Frau im Blick habe, und er möchte es lieber ein Anlagen-Gewächshaus nennen als ein Portfolio, könnte er ihr auch vorschlagen, den Einstieg bei Paion mit dem Verkauf von Puma- Werten zu finanzieren. Zwei Gründe dafür: Heute morgen die Meldung, Puma kauft weiter eigene Aktien zurück, für weitere hundert Millionen Euro, das heißt, die Puma- Aktien werden steigen. Zweitens: Puma-Papiere wirken im Werte-Gewächshaus der Gnädigen Frau eher fremd.
    Und genau deshalb bleiben sie drin, rief die Kundin.
    Um Ihre Instinktsouveränität habe ich Sie immer beneidet, sagte Karl im Finalton. Er sei glücklich, die Gnädige Frau heute wieder so situationsbewußt und dazu noch jahreszeitgemäß, also nichts als frühlingshaft erlebt zu haben. Wir hören voneinander.
    Sie von mir, mein Lieber, sagte sie. Adieu.
    Adieu, sagte Karl, wie es zum Ritual gehörte, deutlich leiser als sie.
    Das Ritual, das er sonst mit nicht nachlassen dürfender Lust bediente, kam ihm heute lächerlich vor. Lambert! Daß Lambert, als er sich, aufgewacht, gelähmt sah, sofort gekotzt hat! Gundi hat es ihm tatsachenhart hingesagt.
    Amei Varnbühler-Bülow-Wachtel, in seiner Jahreszählung: neunzig plus. Seine Kunden starben nicht mehr einfach so weg wie in den ersten drei Jahren. Sobald die achtzig waren, ging es aufwärts. Dafür sorgte er. Durch immer neue, immer spannende, oft dramatische Um- und Umschichtungen der Anlagen. Karl hatte inzwischen eine Kunst daraus gemacht, Kunden, die siebzig plus, achtzig plus und neunzig plus waren, für langfristige Anlagen zu begeistern. Er setzte seine Kunden nicht den Kunststoffwörtern aus, mit denen die Branche sich den Anschein gab, das Weltwettergeschehen der Märkte mit immer feineren Maschinen und Methoden durchschauen und berechnen und lenken zu können. Er blieb beim Natürlichen. Der Markt als Naturgeschehen. Das war seine Sprache. Jede Bewegung auf dem Markt hat eine Wirkung, und diese Wirkung wirkt zurück auf ihre Ursache. Und die dadurch veränderte Ursache produziert eine veränderte Wirkung, die wieder zur veränderten Ursache einer anderen Wirkung wird. Daß du nicht zweimal im selben Wasser baden kannst, wird nirgends so wahr wie im Anlegergeschäft. Und er ist der, der handelnd etwas für seinen Kunden bewirkt, aber dann weiterhandeln muß, weil das Hin und Her nie aufhört, es sei denn, man zöge seinen Einsatz zurück. Glattstellung hieße das dann. Aber das will er nicht, das wollen seine Kunden nicht. Das will das Lebendige nicht. Und Karl von Kahn und seine Kunden sind für das Lebendige. Zins und Zinseszins. Verbrauch ist banal. Das Leben will die Wieder- und Wieder und Wiederanlage des Erworbenen.
    In seiner Kunden-Post pflegte er eine Kolumne Das Zitat der Woche. Das war, fand er, eine schöne Möglichkeit, seine Kunden aufzuklären, ihnen seine Geschäfts-Philosophie nahezubringen. In der letzten Woche stand da: Money makes money. And the money that money makes makes more money. Benjamin Franklin. Immerhin. Dieses Zitat hatten vierzehn Kunden mit herzlichen Zuschriften beantwortet. Die wird er in der nächsten Kunden-Post veröffentlichen. Seine Kunden sollten sich in einem ungegründeten, aber spürbaren Club befinden.
    Karl von Kahn übersetzte in seiner immer freitags verschickten Kunden-Post alles Wirtschaftliche ins Menschliche, verwendete aber soviel Farben aus dem Branchenflor, daß seine Kunden an seiner Zuständigkeit nie zweifeln konnten. Das ganze soziologisch-statistische Alarmierungsgewäsch, also alles, worin Demographie vorkam, ließ er
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