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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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springen einem ja direkt entgegen. Und meinte die Venen. Nachher, als sie den Flecken auf den Einstich drückte und er das Drücken übernehmen sollte, sagte sie: Feste drücken. Weil sie ihren Finger nicht wegnahm, bevor sein Finger zur Stelle war, berührte er mit seinem Finger ihren Finger. Aus ihrem jung-schwellenden Gesichtchen schaute sie mit Pralinenaugen unter ihrer runden Stirn hervor und sagte mit einem sich gleichsam in Liebe auflösenden Mund: Ich könnte dich so streicheln, wie du noch nie gestreichelt worden bist. Die volle Berechtigung dieses Streichelns ergibt sich aus seiner Einmaligkeit. Etwas, das noch nie geschehen ist und, wenn nicht hier und jetzt, nie geschehen wird, darf doch wohl, muß doch wohl hier und jetzt geschehen. Sie sei, sagte sie, als Streichlerin Weltspitze. Wenn es nicht so angeberisch klänge, würde sie sagen: Sie sei Weltmeisterin im Streicheln. Mit einer nicht ganz unwichtigen Einschränkung allerdings. Sie sei diese Weltmeisterstreichlerin nicht unter allen Umständen, sondern nur, wenn er der Gestreichelte wäre. Also was ist. Darf ich anfangen? Es kam zu einem Blicktausch. Sie sagte: Meistens morgens, wenn sie aufwacht, findet sie ihre Hand da unten, dann macht sie es sich, einfach zur Beruhigung. Das sagte sie heiter. Zog die kleinen Brauen hoch, stand auf, beschriftete das geerntete Blut und sagte noch in diese Routine hinein, sie sei jetzt vom Ficken ganz geschwollen. Das klang kein bißchen vorwurfsvoll. Er auf jeden Fall hörte es gern. War sogar ein bißchen stolz. Mein Gott! Die Eitelkeit ist die Schallmauer. Sagen konnte er darauf natürlich nichts. Im Gegenteil. Er, der Idiot der Saison, tat, als habe sie gesagt: Sie hören dann von uns. Er bedankte sich und rannte davon. Floh durch die Stadt und hörte, was Frauen zu ihm zu sagen hatten. Es machte ihn glücklich, solche Sätze aus solchen Mündern zu hören. Auch die Dirndl-Kellnerin, die ihm sagte, was er heute abend essen solle, wollte keine Ausnahme machen. Sie stellte sich neben ihn, weil er zugegeben hatte, er wisse nicht, was er essen solle. Sie beugte sich über ihn und die große Speisenkarte. Wenn er mit dem Kopf nur die kleinste Bewegung machte, landete er zwischen ihren Brüsten. Zwischen ihren landschaftlich schönen, alles gewährenden Brüsten. Ich bin schon den ganzen Tag geil, sagte sie. Ich halte dir meine Fotze hin, sagte sie. Als er immer noch nicht richtig reagierte, sagte sie: Ich halte dir meine Fotze hin, daß du sie ficken kannst. Ja, sagte er, ich nehm Tafelspitz mit den Gemüsen à la Saison.
    Immer nach einem solchen Satz-Erlebnis warf er sich vor, nicht richtig auf diese gewaltigen Sätze reagiert zu haben. Diese fabelhaften Frauen konnten, weil er so schwerfällig, so halbtaub und leblos reagierte, denken, er habe an der unanzweifelbaren Unanständigkeit dieser Prachtsätze etwas zu kritisieren. Immerhin brachte er allmählich eine Art Lächeln zustande. Ein blödes Lächeln, sicher, aber doch deutlich das Gegenteil von sittlicher Empörung und geschmacklichem Abscheu. Am liebsten hätte er ausgedrückt, er fühle sich geschmeichelt, daß er auf diese eher unkonventionelle Art angesprochen werde. Natürlich erschreckte ihn der Grad der Unanständigkeit dieser Sätze. Wie denn nicht! Er war doch auch erschrocken, damals, am ersten Abend mit Gundi und Diego im Königshof .
    Ob Gundi zum Apfelstrudel Sahne wolle, fragte der Ober. Und sie: Ich will alles, was flüssig ist. Und lachte. Und Diego lachte fast zu sehr mit. Er selbst schaffte nur ein kleines Lachgeräusch. Und jetzt überspielte er sein Erschrecken mit einem Lächeln. Wenn man bedenkt, was er da zu überspielen hatte, dann war, daß er es überhaupt zu einem Lächeln brachte, doch auch eine Leistung. Man vergegenwärtige sich diese Sätze, und dann lächelt der so Angesprochene! Natürlich kann man sagen, auf solche Sätze reagiert man nicht mit einem etwas verlegenen, blöden Lächeln, da wendet man sich ab, angeekelt oder eben einfach empört. Karl von Kahn mußte sich nur vorstellen, wie sein Vater, wäre er so angesprochen worden, reagiert hätte. Andererseits vermutet er, daß die, die von ihm Abscheu und Empörung erwartet hätten, vielleicht noch nicht von Frauen mit solchen Sätzen angesprochen worden sind. Wie sollte er sich eine Reaktion seines Vaters oder Ereweins als Maßstab nehmen, wenn beide nie solchen Sätzen ausgesetzt gewesen waren.
    Er spürte von Tag zu Tag mehr, daß sich die Blicke der Frauen, denen er
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