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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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und reichte bis zu den Schultern hinaus. Eine Sonnenbrille, die alles Hinschauen lächerlich machte. Sie schien überhaupt durch alle durch-, über alle hinwegzugehen und dabei so langsam wie möglich die Frage zu stellen: Wer von euch will sterben? Oder: Whose number’s up? Er hatte das Gefühl, er hätte sich melden müssen. Darauf, daß er sich melde, schien sie zu warten. Vor ihm blieb sie stehen, beugte sich aus ihrer enormen Höhe ganz mühelos und weich herab und sagte mit einer Stimme, die nur ihm galt: Wenn ich einen Schwanz hätte, würde ich dich jetzt in den Arsch ficken. Da blieb er natürlich, als sein Flug dran war, sitzen und winkte eine vom Desk her. Er mußte verhindern, daß sein Name ausgerufen wurde. Er sagte, er müsse auf den Flug verzichten. Eine Handbewegung zur linken Seite hin genügte. Im Nu war ein elektrisches Kleinauto da und brachte ihn fort. Zum Exit. Der Taxichauffeur übernahm ihn als Notfall. Aber in der Osterwaldstraße sagte er zu dem: Alles klar. Dann saß er, dachte über die Schreitende nach. Ein bißchen erinnerte sie ihn jetzt an Störche, die früher durch die Niederungen stelzten und Frösche sammelten.
    Gestern, in der U-Bahn, diese Frau von Kleidern wild verhängt. Eine gewaltige Elster oder Freiheitskämpferin. So darf man nur aussehen, wenn man eine Kalaschnikow in der Hand hat oder unter einem Mann gerade zergeht. Und beugte sich herüber zu ihm und sagte mit einer Stimme, die im Hochland von Armenien zu Hause war: Ich brauch es jetzt. Verstehst du! Er schaute und schaute, sie sprang auf und stieg aus. Er dachte: Sie braucht es jetzt. Du Idiot.
    Gestern mußte er ganz schnell hinaus aus der Firma, mußte Frau Lenneweit ratlos zurücklassen. Vor an die Theatiner und mitten hinein ins Jugendgetümmel im San Francisco . Sitzt noch keine zehn Minuten, sagt die wunderbar Samtwangige, Großäugige, die neben ihm sitzt: Ich glaube, ich habe heute nacht von deinem Schwanz geträumt. Er wagt natürlich nicht, ihr gleich den Kopf zuzudrehen. Man darf nicht jede Gelegenheit ausbeuten, das weiß er doch. Ihre zweifellos italienische Lederjacke, braun, abenteuerlich übersät von Taschen und Reißverschlüssen, dieses eindeutige Kleidungsstück berührt er, ohne daß er es will. Er könnte das, wenn es verlangt wird, rechtfertigen. Er ist ein Fan. Eine solche, die Figur feiernde, in der Hüfte noch einmal hinauskurvende Jacke nicht berühren zu wollen hält er für eine Beleidigung der beiden ihm namentlich bekannten Schöpfer dieser Jacke. Und er würde den Satz zu gern noch einmal hören. Bitte, sag ihn noch einmal. Und sie: Ich habe heute nacht von deinem Schwanz geträumt. Jetzt hakt er ein: Vorher hast du gesagt, ich glaube, ich habe … Und sie: Sie habe sich geniert, das gleich so hinzusagen, deshalb das Ich glaube . Sie sei aber ganz sicher, daß es sein Schwanz gewesen sei. Das klang, als wären auch andere möglich gewesen, aber diesmal eben nicht. Da bleibt nur zahlen und gehen. Bloß nichts ausnützen. Schweren Herzens ging er hinaus. Hoffend, sie rufe ihn zurück. Das tat sie eben nicht. Er konnte jetzt nicht ins Büro. Blieb dann vor der religiös anmutenden Autopracht stehen. Das waren keine Schaufenster, das war ein Autotempel. Das waren keine Autos zum Fahren. Das waren Heilige Kühe. Neben ihm stand gleich eine noch nicht Einundvierzigjährige. Ihr Kopf wurde von einem rund herumführenden langhaarigen Pelz geradezu serviert. Wie das Haupt Johannes’ des Täufers bei Salome. Dachte er. Ihr Mantel war kurz, künstlich glänzend, über und unter dem Gürtel wie aufgeblasen. Aber nicht zuviel. Überhaupt, diese kurzen Haare im Pelzkranz, dieses überaus feine, von Gedankenreichtümern sprühende Gesicht. Und dann der Satz, den sie nicht nur dem Autoschaufenster, sondern schon recht deutlich zu ihm hin sagte: Ich freue mich auf einen Mund voll Schwanz.
    Und er, der Idiot, rannte davon. Ja, wie denn nicht. Aber jetzt mußte er ohnehin zu seinem Arzttermin. Das jährliche Blutbild liefern. Zurück in die Prannerstraße. Saß, bis dieses Mädchen in die Kabine bat. Man sah alles, was sie anhatte. Ob er sich das Blut liegend oder sitzend abnehmen lassen wolle. Sitzend, sagte er und nannte sich gleich wieder Idiot. Du bist der Idiot der Saison. Dachte er. Als sie sich über seinen Unterarm beugte, sah er durch ihre allzu offene Hemdbluse tief an ihr hinab. Sie war braungebrannt. Die Bräune, die nur das Meer gibt. Als er die erwünschte Faust machte, sagte sie: Oh, die
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