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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Mit Hafterleichterungen ist nach ein, zwei Jahren zu rechnen, offener Vollzug ist ein Wort, an das wir uns klammern. Mein Vater würde die Tage bei uns verbringen, abends brächte ich ihn nach Tegel. Nach Tegel sagen wir auch gerne. Andere meinen damit den Flughafen, wir meinen das Gefängnis.
    Ich muss bekennen, dass ich nicht unschuldig bin an diesem Totschlag, obwohl das kein gutes Licht auf mich wirft. Ich hätte die Tat verhindern können, aber ich wollte nicht. Als mein Vater uns am 25. September des vergangenen Jahres besuchte, wusste ich, was er vorhatte. Es war ein sonniger Tag, unsere Fenster standen offen. In unserer Straße im Südwesten Berlins, im Ortsteil Lichterfelde-West, hat das zur Folge, dass wir Autos schon hören, wenn sie noch weit entfernt sind. Hier liegt Kopfsteinpflaster, das Rumpeln der Autos quält mich manchmal, wenn ich zu Hause arbeite. Meine Frau findet, dass ich zu empfindlich bin. Ich habe ihr gesagt, dass Schopenhauer der Meinung war, Geräuschempfindlichkeit sei ein Zeichen von Intelligenz, je empfindlicher, desto intelligenter. Willst du damit sagen, dass, hob sie an. Nein, will ich nicht, gab ich zurück. Schon entwickelte sich eines dieser Gespräche, die eine Ehe unerfreulich machen können. Später habe ich mich entschuldigt. Es war wirklich kein sympathischer Satz, aber vielleicht doch ein wahrer.
    Ich habe meinen Vater erwartet. Er hatte sich am Tag davor angekündigt, und kurz nach seiner Abfahrt aus dem Oderbruch rief meine Mutter an, um mir zu sagen, dass er in spätestens zwei Stunden eintreffen werde. Das war eine noch junge Gewohnheit. Meine Mutter fand, dass mein Vater kein sicherer Autofahrer mehr ist, und falls er nicht zur erwarteten Zeit eintreffen würde, sollte ich sofort Such- und Rettungsmaßnahmen einleiten. Mein Vater wusste nichts davon, es hätte ihn verletzt, es hätte ihn verärgert. Er konnte nicht aufhören, sich als souveränen Autofahrer zu denken. Seine Familie hatte eher den Eindruck, dass er ziemlich unsicher unterwegs war. Wir ließen unsere Kinder ungern bei ihm einsteigen.
    Als ich auf meinen Vater wartete, fragte ich mich, ob jemand, der nicht mehr gut Auto fährt, ein sicherer Schütze sein kann. Allerdings war nicht zu erwarten, dass es ein schwieriger Schuss würde. Er würde das schaffen. Ich hoffte zwischendurch auch, dass ihm diese Autofahrt so schlecht geriet, dass er sich als Schütze nicht würde bewähren müssen, ein kleiner Unfall, der seine Ankunft verhinderte, und ein Mord wäre vereitelt. Damals nannte ich die bevorstehende Tat in meinem Kopf ausschließlich Mord, erst unser Anwalt wies mich nach der Tat darauf hin, dass es auch Totschlag sein könne, und Totschlag werde nicht so hart bestraft wie Mord.
    Ich hoffte nicht wirklich auf einen Unfall, ich wollte diesen Mord, ich hatte lange genug darüber nachgedacht, es musste nun geschehen. Meine Frau war mit unseren Kindern zu ihrer Mutter nach Lindau gefahren, günstiger konnte die Lage nicht sein. Hoffentlich würde mein Vater gut durchkommen auf seiner vorerst letzten Fahrt. Staus gab es nicht, das hatte ich im Radio verfolgt.
    Ein paar Autos rumpelten vorüber, schließlich sah ich den Ford meines Vaters vor unserem Haus parken. Es ist ein schönes Haus, ein Haus aus der Gründerzeit, Holzbalken zwischen dem roten Gemäuer, ein Türmchen, Erker, Gauben. Wir wohnen im Hochparterre und haben einen eigenen Zugang zum Garten. Über unserer Wohnung gibt es noch einen zweiten Stock, auch Dach und Souterrain sind bewohnt, vier Parteien leben insgesamt hier. Unsere Wohnung ist großzügig, hohe Decken, Stuck, sie macht etwas her, das Haus steht unter Denkmalschutz.
    Als mein Vater in der Tür stand, fragte ich mich, wo er seine Waffe hatte. Meist trug er sie in einem Holster unter der linken Achsel, aber sie konnte auch in seiner Reisetasche sein. Früher hatte er oft ein Handtäschchen aus Leder bei sich, wie es Pfeifenraucher gerne benutzen, für ein kleines Sortiment von Pfeifen, Stopfern und Tabak. Bei ihm allerdings war eine Walther PPK darin, eine Glock oder ein Colt. Wir hatten ihm das Täschchen zu Weihnachten geschenkt, ich weiß nicht mehr genau, in welchem Jahr, meine Mutter, meine Schwester, mein kleiner Bruder und ich. Eine Weile trug er es, wohl mehr aus Rücksicht auf uns, damit wir das Gefühl haben konnten, ein willkommenes Geschenk gemacht zu haben, aber dann kehrte er zu seinem Holster zurück. Aus seiner Sicht war es sinnvoller, die Waffe unter der Achsel zu
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