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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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nicht, hätte mich dafür bücken müssen, was ich natürlich nicht tat. Vielleicht hat er meine Füße gesehen, ich weiß es nicht. Er hatte da noch ungefähr zehn Minuten zu leben.
    Als ich in unsere Wohnung zurückkehrte, saß mein Vater am Küchentisch. Vor ihm lag eine Pistole, eine Walther PPK, Kaliber 7,65 mm Browning, aber das habe ich erst später aus der Anklageschrift erfahren, genauso, dass PPK für Polizeipistole Kriminal steht. Der Staatsanwalt legte Wert darauf, Wissen zu zeigen, Wissen, das ich trotz dieses Vaters nicht hatte. Ich kannte mich mit Pistolen nicht aus, wollte mich nicht auskennen. Ich fragte meinen Vater, ob er einen Espresso haben wolle, er wollte. Ich hatte die Maschine, eine wunderschöne Domita aus Italien, kurz nach dem Aufstehen eingeschaltet, sodass sie sich aufheizen konnte. Ich drehte den Siebträger aus der Maschine und tauschte das Kaffeesieb aus, das kleine gegen das große, weil ich selbst auch einen Espresso trinken wollte. Dann drückte ich den Siebträger gegen die Mühle, die daraufhin unter Getöse zu mahlen begann. Das Pulver rieselte in das Sieb, bis es randvoll war. Ich nahm den Tamper, schweres Metall mit einem Griff aus Palisander, und presste das Pulver zusammen. Ich drehte den Siebträger in die Maschine, stellte zwei Tassen unter den Auslauf und drückte den Startknopf. Die Maschine brummte, braun ölte der Kaffee in die Tassen, immer wieder ein herrlicher Anblick. Du und deine Espressokultur, sagt meine Frau, manchmal in einem mokanten Tonfall. Leute wie ich müssen aus allem eine Kultur machen, das geht nicht nur anderen auf die Nerven, auch mir selbst. Wir nippten schweigend, die Pistole lag auf dem Tisch wie ein metallenes Fragezeichen. Sollten wir wirklich?
    Für das, was dann passiert ist, ziehe ich am besten die Anklageschrift heran: Der Angeschuldigte, Hermann Tiefenthaler, mein Vater also, sei mit der sich in seinem rechtmäßigen Besitz befindlichen Walther PPK, exakt: Walther Polizeipistole Kriminal, gegen 8.40 Uhr aus der Wohnung seines Sohnes Randolph Tiefenthaler in das Souterrain hinabgestiegen, habe dort den Mieter Dieter Tiberius zum Öffnen seiner Wohnungstür bewogen, entweder durch Klopfen oder durch Klingeln, und habe den Tiberius daraufhin durch einen Nahschuss in den Kopf getötet. Der Tiberius sei sofort tot gewesen.
    Ich habe dann die Polizei gerufen. Mein Vater hatte mich dazu aufgefordert, aber es war ohnehin klar, dass wir diesen Weg gehen würden, keine wilde Flucht im Ford, keine Vertuschung. Wir standen zu dieser Tat, wir stehen immer noch dazu, das kann ich ohne Einschränkung sagen. Der Polizist, der den Hörer abnahm, Polizeiobermeister Leidinger, begrüßte mich fast leutselig, er kannte mich gut, auch das Haus, er war oft hier gewesen in den letzten Monaten, manches hatte er komisch gefunden, aber er wurde sofort ernst, als er hörte, dass ich den Tod eines Menschen zu melden habe. Genau so habe ich es gesagt, ganz bewusst: Ich habe den Tod eines Menschen zu melden. Ihre Frau, fragte Polizeiobermeister Leidinger, und ich hörte seinen Schrecken, was, zugegeben, eine kleine Genugtuung war, nach all den Zweifeln der Behörden am Ernst unserer Situation. Nein, sagte ich, nicht meine Frau, zum Glück nicht, es geht um Herrn Tiberius. Schweigen, für ein paar Sekunden herrschte Schweigen, und ich wüsste gern, was Leidinger in dieser Zeit gedacht hat. Wir kommen, sagte er.
    Mein Vater hat seine Tasche gepackt und sein kariertes Sakko angezogen. Dann setzte er sich wieder an den Küchentisch, vor ihm lag die Walther PPK. Ich machte ihm noch einen Espresso. Wir hatten manchmal hier so gesessen, bevor er nach Hause fuhr, dann war meistens meine Mutter dabei, er kam nie ohne sie, und jetzt sagten wir seltsamerweise einige der Sätze, die wir sonst auch sagten. Hast du alles? Wirklich nichts vergessen? Er ging noch einmal ins Bad, um nachzusehen, und tatsächlich fand er seinen Rasierschaum. Man kann nicht oft genug nachsehen, sagte ich. Wer weiß, wann ich welchen bekommen hätte, sagte er. Mir fiel noch ein, dass man sich als Häftling womöglich gar nicht nass rasieren kann wegen der Klingen, ich hatte keine Ahnung von den Gepflogenheiten in Gefängnissen, und dann klingelte es. Polizeiobermeister Leidinger und sein Kollege Rippschaft, mir ebenfalls gut bekannt, waren als Erste bei uns in der Wohnung, später kamen noch andere, Schutzpolizisten in Uniform, Kriminalpolizisten ohne Uniform, ein Arzt, Leute von der Spurensicherung,
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