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Angélique - Hochzeit wider Willen

Titel: Angélique - Hochzeit wider Willen
Autoren: A Golon
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verlaufe. Das sei sehr kompliziert, erwiderte der Marquis. Aber Angélique bestand darauf und erklärte ihm, sie habe sich während ihrer Schulzeit bei den Ursulinen durch ihre Neigung für die Wissenschaft der Geografie hervorgetan. Weigerte er sich etwa, ihr Auskunft zu geben, weil er selbst nicht genau wisse, wo sich diese Grenze befand? Zutiefst beleidigt gab der Marquis unter heftigem Gestikulieren ihrer Bitte nach.
    Diese Grenze gehe von einem Punkt an der Meeresküste ein wenig südlich von La Rochelle aus, sagte er, verlaufe dann bis hinab ins Limousin, beschreibe eine komplizierte Linie durch das vulkanische Massiv der Auvergne im Zentrum des französischen Königreichs, durchquere im Osten einen Zipfel von Burgund und dann Regionen, die noch kaum erobert seien wie die Teiche und Sumpfgebiete der Dombes und von Bresse und ende dann an der Grenze zu Helvetia, dem Land der Schweizer …
    Aber was genau trenne denn nun diese besagte Grenze, die Frankreich teile und die sich, wie er sage, anscheinend in uralter Zeit spontan gebildet habe, wollte Angélique wissen.
    Der Marquis holte tief Luft und hob erneut an. Sie bilde die Trennlinie zwischen zwei Sprachen; der »Langue d’oïl« im Norden und der »Langue d’oc« im Süden. Aber sie stelle, so verschlungen und gewunden sie auch sei, ebenfalls eine Grenze zwischen dem Gewohnheitsrecht dar, wie es auf beiden Seiten dieser unsichtbaren Linie herrsche. In den Provinzen des Südens galt das Zivilrecht, das aus dem Recht des römischen Imperiums hervorgegangen war. Das mündlich überlieferte Recht im Norden war dort durch die Invasionen der Barbaren eingeführt worden.

    »Wie Ihr schon ahnen könnt, Madame«, schloss der Marquis strahlend, »zieht jeder Prozess zwischen diesen beiden Rechtssystemen des Königreichs einen Krieg nach sich. Zumindest dauern diese Prozeduren Jahre und werden quasi vererbt.«
    Er schien das sehr komisch zu finden.
    Die Franzosen auf beiden Seiten traten anscheinend leidenschaftlich für ihr jeweiliges Gewohnheitsrecht ein. Er erzählte einige gute Anekdoten über Prozesse, die Generationen gedauert hatten.
    Doch für Angélique blieb vor allem der beunruhigende Gedanke bestehen: Es gab eine Grenze.
    Und ihre Familie befand sich auf der anderen Seite. Die Kluft wurde immer tiefer.
     
    Die Landschaft veränderte sich.
    Nun durchfuhren sie Gegenden, in denen sich Weinberge und Felder abwechselten, die mit dicken, hohen und tiefgrünen Ähren bepflanzt waren. Man hätte meinen können, eine aufmarschierte Armee vor sich zu haben. Die Landschaft wirkte wie ein Streifenmuster aus Weinbergen und Feldern, die mit diesen ordentlich aufgestellten, grünen Stöcken bestellt waren. Unter dem Himmel, der wie ein grellblauer Baldachin über dem Ganzen hing, schien die Sonne wie durch ein Gitter, sodass von den grellen Reflexen die Augen schmerzten.
    »Das ist Mais«, erklärte Andijos, der ihr Erstaunen angesichts der ihr unbekannten Nutzpflanze bemerkte.
    »Indisches Korn? Wie in der Neuen Welt?«
    »Hier nennen wir es grobe Hirse oder auch spanische Hirse.«
    Immer noch voller Elan, die Vortrefflichkeit seiner Provinz zu rühmen, teilte er ihr mit, dass man von Bayonne bis Toulouse schon seit mehr als einem halben Jahrhundert Mais anbaue.
Die Pflanze komme aus Spanien, wo die Katholischen Könige sie von ihren Konquistadoren aus Amerika erhalten hätten; zusammen mit dem goldenen Apfel, den man seit einiger Zeit auch Tomate nenne, sowie verschiedenen anderen Neuerungen.
    »Dieses Getreide ist das schönste Geschenk der Neuen Welt an die Alte Welt. Die Bevölkerung Aquitaniens und des Languedoc hat sie zu ihrem Grundnahrungsmittel gemacht, wodurch die Menschen auch in Krisenzeiten ihr Auskommen sichern können. Und vor allem kann der Bauer seine anderen Feldfrüchte wie Weizen oder Gerste vorteilhafter verkaufen und gewinnt so an Wohlstand.«
    Merkwürdigerweise riefen diese Erklärungen über die Ökonomie der Landwirtschaft bei Angélique den Eindruck hervor, sich noch weiter von ihrer Heimat entfernt zu haben. Da hatte sie also, nachdem sie die abweisende Barriere ihres poiteviner Waldes hinter sich gelassen hatte, so viele Grenzen überschritten, dass sie sich jetzt in der Nachbarschaft der Neuen Welt befand und ihre Früchte kosten konnte. Und dazu hatte sie nicht einmal den Ozean zu überqueren brauchen.
    Während man »oben« im Poitou noch die Augen aufriss, wenn der Pastor vom »indischen Korn« erzählte, bestand hier die Verbindung
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