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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Berichterstattung über Streit an sich nichts zu sagen. Allerdings spielen manche Medien dabei gerne ihr eigenes Spiel. Sie suchen nach Sätzen, aus denen sich ein Streit basteln lässt, sie spitzen zu und im schlimmsten Fall verfälschen sie auch. Deshalb wirkt der politische Streit in den Medien meistens größer, schlimmer als er in Wahrheit ist. Und Politik wirkt hässlicher, als es sein müsste.
    Nichts prägt die Politik unserer Tage so wie diese Hysterisierung. Es gibt praktisch keine Worte oder Taten, die zum Nennwert genommen werden. Es ist so, als würde man in einer Welt leben, in der jedes Wort durch einen Verzerrer geht. Es löst sich vom Sprecher und nimmt einen neuen Klang an. Die Kontrolle über die eigenen Worte geht verloren, sie entwickeln ein Eigenleben. Damit kann man spielen. Wer die Regeln der Medien kennt, kann sich die Hysterisierung zunutze machen, kann so Politik steuern. Deshalb sind die Spitzenpolitiker den Medien nicht hilflos ausgeliefert, aber sie müssen schon Vollprofis sein, um dieses schwierige Spiel durchschauen und beherrschen zu können.
     
    Noch ein Punkt ist wichtig, um verstehen zu können, unter welchen Bedingungen die Bundeskanzlerin denkt und handelt. Dabei geht es um das Wort Aufmerksamkeit, das eine schreckliche und eine herrliche Dimension hat für die Politiker.
    Politik heute, das ist die totale Beobachtung, das ist ein Leben, das nur mit dem Leben von Popstars oder Fußballprofiszu vergleichen ist. Heerscharen von Journalisten schauen zu, machen sich ihre Gedanken, nehmen jeden Satz auf und verarbeiten das alles in Geschichten. Wenig bleibt im Verborgenen, es gibt praktisch keine verschlossenen Türen. Aus den Gremiensitzungen werden die wichtigsten Worte und Entscheidungen per SMS gewissermaßen in Echtzeit an Journalisten weitergeleitet. Alles andere wird hinterher berichtet. Bei jedem öffentlichen Termin stehen Kameras und Reporter, denen kein Satz entgeht, kein Minenspiel, keine Geste. Alles wird auf Verwertbarkeit abgeklopft. Das ist Öffentlichkeit total, also eigentlich die Vollendung eines wichtigen demokratischen Prinzips. Kammerpolitik ist nur noch möglich, wenn zwei Politiker, die sich vertrauen, beisammensitzen. Schon die Anwesenheit eines Dritten macht es wahrscheinlich, dass geplaudert wird. Das ist grundsätzlich gut so, weil sich so ein klares Bild von der Politik zeichnen lässt. Verborgenheit ist einer Demokratie nicht förderlich. Es gibt aber auch einen Nachteil dieser Aufmerksamkeit. Da jede Absicht, jeder Plan sofort an die Öffentlichkeit dringt und meist hysterische Reaktionen weckt, gibt es keine Ruhe für Strategie und Entwicklung. Jeder Plan wird sofort kritisiert und damit oft genug kleingeraspelt oder vernichtet, bevor er zu Ende gedacht werden konnte.
    Für die Politiker bedeutet totale Öffentlichkeit, dass sie ständig auf der Hut vor sich selbst sein müssen. So bekommen sie Angst vor den eigenen Worten, vor dem eigenen Sein. Da praktisch jeder Satz an die Öffentlichkeit dringt, muss jeder Satz für die Öffentlichkeit gestaltetwerden. Die denkbaren Folgen sind schon enthalten, Vorsicht ist das oberste Prinzip, die Authentizität geht verloren, das Ich des Politikers verschwindet. Er ist höchstens noch das, was er für die Öffentlichkeit sein will, sein kann. Das ist die schreckliche Seite der Aufmerksamkeit. Wir haben es nicht mit Originalen zu tun, sondern mit Abzügen, die für die Öffentlichkeit aufgehübscht wurden.
    Die herrliche Seite ist die Bedeutung. Bedeutung ist die große Belohnung des Politikers. Er bekommt für das, was er leistet, vergleichsweise wenig Geld. Wegen des Geldes geht niemand in die Politik, anderswo ist mehr drin. Dafür ist die Zahl der Kameras fast nirgendwo so groß wie im Berliner Regierungsviertel. Es gibt Leute, die eine solche Aufmerksamkeit genießen. Und sie wissen, dass ihre Sätze Schlagzeilen machen können, dass ihre Sätze, im äußersten Fall, die Welt verändern können. Ein Satz wie Peter Strucks »Die kann mich mal« wird tagelang in den Medien rauf- und runterdiskutiert. Dieser Satz wird bis heute zitiert, und daran kann sich einer wie Struck durchaus freuen. Er hat schon das Struck’sche Gesetz formuliert, den schönen, wahren Satz, dass keine Gesetzesinitiative aus dem Bundestag rauskommt, wie sie reingegangen ist. Dieser Satz wird Struck überleben, er ist ein Stück Unsterblichkeit für ihn.
    Woran man sieht: Es gibt die größtmögliche Belohnung für Politiker, soweit einem
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