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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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mit inneren Widerständen betreiben, das macht einen krank oder unfähig, die Herausforderungen zu meistern. Beck wollte sich nicht ändern, weil er dachte, Berlin würde sich ändern, wenn er dort Politik macht. So hat er es versäumt, sich eine Machtzentrale in der Bundeshauptstadt aufzubauen, hat es versäumt, eine Sprache für den Umgang mit den Hauptstadtjournalisten zu finden. Er blieb nah bei den Leuten, aber er hat nicht daran gedacht, dass Bundespolitik nicht mit den Eigenschaften normaler Leute gemacht werden kann. Es geht um eine hochkomplexe Aufgabe, die unter ständiger Beobachtung durch Medien zu erledigen ist. Es geht darum, gegen Leute wie Obama, Putin oder Wen Jiabao zu bestehen. Man mag das bedauern, aber Volksnähe und Menschlichkeit sind nicht die ersten Eigenschaften, die dafür wichtig sind. Es ist ein spezialisiertes Vollprofitum nötig, eben die Bereitschaft zu Politik total. Beck trat zurück, als er den Eindruck hatte, es sei in der SPD eine größere Intrige gegen ihn gelaufen.
    Deshalb sind wir jetzt allein mit dem Typus Angela Merkel. Die Experten, Manager und Antipolitikpolitiker sind ausgeschieden. Das heißt nicht, dass Merkel dienächste Wahl auf jeden Fall gewinnen wird. Es gibt noch andere Vollprofis, zum Beispiel Oskar Lafontaine, Franz Müntefering, Horst Seehofer oder Guido Westerwelle. Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und Kanzlerkandidat der SPD, könnte sich dahin entwickeln. Sie alle haben das politische System akzeptiert, wie es ist. Sie vergeuden keine Zeit damit, es in Frage zu stellen oder zu bekämpfen. Sie entwickeln und verfeinern permanent Strategien, wie sie in diesem System maximalen Erfolg haben können. Aber niemand macht das so konsequent wie Angela Merkel. Das macht sie zur Ausnahme in der Ausnahmegruppe Vollprofipolitiker.
     
    Das Spiel, das gespielt wird, ist vor allem ein Medienspiel. Politik ist, wie sie ist, weil die Medien sind, wie sie sind. Und die Medien sind allgegenwärtig, sie sind hysterisch und gnadenlos. Sie sind auch großartig. Das wichtigste Prinzip der Demokratie ist Öffentlichkeit. Erst als die Politik aus der Kammer gekommen ist, als sie sich vom Geheimratswesen verabschiedet hat, wurde sie wieder zur Demokratie. Nur die Öffentlichkeit ermöglicht die Kontrolle und die Beteiligung. Da sich die Wahlberechtigten nicht mehr auf einem Platz versammeln können wie in Athen, müssen die Medien die Öffentlichkeit herstellen. Man kann leider nicht sagen, dass sie das durchweg verantwortungsvoll tun. Man kann auch nicht sagen, dass die Politiker durchweg verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten der Medien umgehen.
    Ein Teil des Problems ist der technische Fortschritt.Das Internet verdichtet und beschleunigt den Alltag der Politiker in einem Maße, das kaum noch beherrschbar ist. Eine typische Geste für Angela Merkel ist der Griff in die Tasche ihrer Jacke oder der Griff in die Handtasche, je nachdem, wo ihr Handy gerade ist. Sie macht das ziemlich häufig, manchmal alle vier, fünf Minuten. Selbst auf der Regierungsbank im Bundestag hält sie es nicht lange aus, ohne nachzuschauen, ob neue Nachrichten eingetroffen sind. Merkel tut das mit einer gewissen Verstohlenheit, kleine, unauffällige Handgriffe unter dem Tisch, zwischendurch ein harmloser Blick in die Runde. In Schulstunden werden so Spickzettel oder Liebesbriefe gelesen. Es ist nicht gerade höflich, und der jeweilige Redner kann durchaus das Gefühl haben, dass es für die Bundeskanzlerin gerade etwas Interessanteres auf der Welt gibt als seine Worte. Vielleicht schaut sie auch nach in der Hoffnung, es möge doch bitte etwas Interessanteres geben.
    Das Bundespresseamt versorgt die Bundeskanzlerin auf diesem Weg mit allen Informationen, die wichtig sein könnten. Zudem unterhält sie eine rege S M S-Kommunikation mit ihren Ministern und Parteifreunden. Wenn Merkel mal eine Dreiviertelstunde nicht auf ihr Handy blickt, findet sie danach mitunter 20 bis 30 Meldungen vor. Sie braucht fünf Minuten, um das alles zu lesen. Sie liest fast immer mit dem Ausdruck totaler Gleichmütigkeit. Niemand kann sehen, ob sie sich freut oder ärgert. Sie schaut gerne nach diesen Nachrichten, eine gewisse Sucht kann man ihr unterstellen. Die Bundeskanzlerin istNachrichtenjunkie. Sie hat einmal erzählt, dass sie an den Abenden, wenn sich das Geschehen in Deutschland beruhigt, manchmal geradezu enttäuscht ist, dass Spiegel online seinen Aufmacher über Stunden nicht erneuert. Es ist für sie, als
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