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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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machte ihren Doktortitel und arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof. Als die Mauer fiel, war sie 34 Jahre alt, und hätte man sie damals mit Roland Koch verglichen, wäre sie einem wahrscheinlich naiv vorgekommen. Bundeskanzlerin? Die? Eine witzige Vorstellung.
    Jetzt ist sie Bundeskanzlerin, und wie konnte daspassieren? Kann es etwa sein, dass ein Leben in der DDR, in einer Diktatur, sie ganz gut auf das Leben in der Politik einer modernen Mediendemokratie vorbereitet hat?
    Angela Merkel lebte nicht im offenen Widerstand zum sozialistischen Regime, aber sie war, geprägt von ihrem Elternhaus, skeptisch, sie war innerlich eine Gegnerin dieses Regimes. Wie musste man sich vorkommen mit dieser Haltung in der DDR? Beobachtet. Man musste sich ausmalen, dass da überall Augen und Ohren sind, dass man sich bedeckt halten muss, misstrauisch sein muss, um nicht in seiner wahren Haltung erkannt zu werden. Die Folgen wären schlimm gewesen, bis zum Gefängnis. Merkel hat die Vorsicht also von klein auf gelernt. Als Tochter eines Pfarrers aus dem Westen stand sie unter besonderer Beobachtung. Sie durfte nicht erzählen, was zu Hause gesprochen wurde. Sie lernte, sich zurückzunehmen. Worte können gefährlich sein – diese Regel hat sich früh bei ihr eingeprägt.
    Das Gleiche gilt für Politiker in der Mediendemokratie. Die eigenen Worte sind das, was ihnen am gefährlichsten werden kann. Man denke an Kurt Becks Satz über die Kooperation mit der Linkspartei. Er saß in einer Kneipe in Hamburg und hat das unbedacht dahergesagt. Es waren auch Journalisten dabei, und die hatte Beck zur Schweigsamkeit verdonnert, indem er den Termin zum Hintergrundgespräch erklärte. Doch wenn wirklich wichtige Dinge gesagt werden, wird sich immer ein Journalist finden, der die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzt, mit einem gewissen Recht.
    Aber es gibt auch den Hysterisierungsbetrieb. Lässt zum Beispiel Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, wie im September 2007 geschehen, in einem Interview den Satz fallen, es gebe eine Bedrohung durch eine sogenannte schmutzige, also nuklear verseuchte Bombe, dann ist das an sich kein Skandal. Es gibt diese Bedrohung wirklich. Es ist nur die Frage, wie konkret sie ist. Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, einen solchen Satz den Bürgern einfach so hinzuwerfen, wie Schäuble das getan hat. Eher nicht, er hätte sich den Satz sparen können. Aber der Skandal entsteht durch das, was die Medien aus dem Satz machen, die Hysterisierung. Sofort wurde eine große Deutungs- und Vermutungsmaschinerie angeworfen. Es wurden Aufmacher und Leitartikel geschrieben, die aus einem Satz eine neue Welt entstehen ließen, natürlich eine schlimme Welt. Da will dann Schäuble einen Polizeistaat errichten und die Macht der Kanzlerin hintertreiben. Es hagelte Kritik von allen Seiten. Merkel hörte davon, als sie in ihrem Wochenendhaus in der Uckermark gerade einen Pflaumenkuchen buk. Sie wusste sofort, dass sie von einer neuen Blase umgeben war. Man kann nämlich Politik auch als schnelle Folge von Blasen verstehen. Sagt Schäuble einen solchen Satz, bildet sich sofort darum herum eine mediale Blase. Drinnen, wo die betroffenen Politiker und Journalisten sitzen, gibt es nichts anderes als diesen Satz, die Reaktionen und Ausdeutungen. Der Satz bekommt eine Totalität in der Blase, beherrscht alles und jeden. Die Blase hält ein paar Tage, bis sie platzt und eine neue entsteht. Eine Weile glaubtman, es habe die vorherige Blase nie gegeben. Und doch bleibt etwas, ein Ruf setzt sich fest, ein Verdacht wird fast zur Gewissheit: Schäuble will einen Polizeistaat. Er wird das nie mehr loswerden, es ist in den Archiven und Köpfen. Man muss kein Mitleid mit ihm haben, er ist Profi genug, um das Spiel genau zu kennen. Man muss aber feststellen, dass das gesamte System so ist, dass einem Gerechtigkeit kaum widerfahren kann.
    Es gibt unendlich viele solcher Beispiele. Wer nicht polarisieren will, hütet sich deshalb vor klaren Sätzen. Und eine Bundeskanzlerin will in der Regel nicht polarisieren, weil sie die Sache des gesamten Volkes vertreten muss. So können Worte eine zerstörerische Kraft entwickeln für den, der sie ausspricht, in der Politikszene einer Demokratie wie im Leben in einer Diktatur. Und in dieser Vorsicht gegenüber den eigenen Worten lässt sich Angela Merkel von niemandem übertreffen, da die Folgen in einer Diktatur weit schlimmer sind als in einer Demokratie.
    Ein anderer
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