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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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die falsche Frisur, das falsche Gesicht, die falsche Kleidung, die falschen Ansichten über Deutschland und die Welt sowieso. Sie galt als Männermörderin, weil sie Helmut Kohl, Friedrich Merz und Wolfgang Schäuble hinter sich gelassen hatte. Man warf ihr »soziale Kälte« vor und Kinderlosigkeit. Sie verkörperte also nicht das ideale Familienbild der Union. Es war nichts zu widerlich in diesem Machtkampf. Merkel war Parteivorsitzende, mächtig also, aber sie erlebte die Flüchtigkeit von Macht. Politik hatte die Unruhe von Quecksilber erreicht. Morgens hörte sie im Radio, wer aus der CDU oder der CSU schon wieder über sie hergefallen war. Von den anderen hörte sie ein Schweigen, das in den Ohren dröhnte. Kaum jemand sprang ihr zur Seite, sie war allein.
    Die kann es nicht, war der Satz, der für sie gültig schien. Man machte sich lustig, man machte ihr deutlich, dass es kein Auffangnetz für sie geben würde. Wenn sie scheiterte, war da ein Nichts. Deshalb gab es für Angela Merkel nur einen Weg, den nach oben. Sie musste der Union die Kanzlerschaft holen, um eine Zukunft zu haben. Angela Merkel, von Haus aus ehrgeizig, wurde in einen brutalen Ehrgeiz getrieben. Heimatlosigkeit heißt auch, nichts verlieren zu können. Das fördert die Entschlossenheit. Merkel ist in diesem parteiinternen Machtkampf sehr hart, sehr stark geworden.
    Seit 2005 hat sich in vier Fällen gezeigt, was einen Politiker schwach machen kann. Es ist das Idyll oder die Vorstellung von einem Idyll. Besonders deutlich wurde das bei Matthias Platzeck, dem Ministerpräsidenten von Brandenburg. Nachdem er im Herbst 2005 Bundesvorsitzender der SPD geworden war, fand er bald nichts schrecklicher als die kurzen Fahrten von Potsdam nach Berlin. Die musste er nun häufig machen, und Berlin war das Grauen, Potsdam das Glück. Ich habe ihn in diesen wenigen Monaten seiner Amtszeit hin und wieder getroffen. Er schwärmte jedes Mal von seinem Babelsberger Kiez, den Kneipen dort, den Freunden, mit denen er beim Wein in seiner Küche saß. Und er erzählte mir von einem Traum: Er würde gerne eine Kneipe in der Uckermark haben. Er wolle dort hinter dem Tresen stehen, mit den Gästen quatschen und dabei zusehen, wie das Bier golden in die Gläser läuft. So hatte er zwei Idyllen, Babelsberg und die erträumte Kneipe in der Uckermark. Wer eine soklare Vorstellung vom Glück hat, der empfindet jede Entfernung davon als Unglück. Matthias Platzeck war unglücklich als Parteivorsitzender, er litt unter den Härten der Mediendemokratie in Berlin. Sein Hörsturz war das Signal, dass er aufhören sollte. Als ich ihn drei Jahre später wieder traf, war er glücklich. Die Kneipe in der Uckermark hat er zwar noch nicht, aber er hat Zeit für Babelsberg, und Berlin muss nicht mehr seine Welt sein.
    Edmund Stoiber wollte nach der Wahl 2005 ins Bundeskabinett gehen, als Superminister für Wirtschaft. Aber dann blieb er doch lieber in München, für ihn die schönere Welt. Es war der Anfang vom Ende seiner politischen Karriere. Kurt Beck ging zwar in die Bundespolitik, steckte aber mit dem Kopf und dem Gemüt in Mainz fest, seinem Idyll. Christian Wulff hat sein Niedersachsen und genießt die Freuden einer jungen Ehe. Da fiel es ihm leicht, sich einer Kanzlerschaft als unfähig zu erklären. Er hat ja etwas anderes, etwas Schöneres, wie er sagen würde. Man muss ihm das nicht unbedingt glauben, es könnte auch Defätismus angesichts von Chancenlosigkeit sein, aber wild entschlossen ist er jedenfalls nicht.
    Angela Merkel war wild entschlossen, ist wild entschlossen. Sie kann sich nichts anderes vorstellen als Bundespolitik. Es gibt einen Satz, der einem als politischer Journalist immer wieder begegnet, der einen nervt, und dieser Satz geht so: »Ich muss das hier nicht machen.« Den sagen Politiker gerne, wenn sie ihrerseits genervt sind, wenn sie wütend sind. Sie sagen diesen Satz zur Selbstberuhigung oder als Drohung. Angela Merkel allerdingswürde diesen Satz niemals sagen. Sie denkt so nicht, und sie weiß auch, dass sie sich mit diesem Satz lächerlich machen würde. Angela Merkel muss das machen, was sie macht. Sie hat kein Idyll, keine Ersatzwelt, keine klare Vorstellung von einem Danach, sie ist verdammt zu totaler Politik, und das macht sie stärker als fast alle anderen Politiker.
    Deshalb konnte sie es aushalten, dass sie am Abend der Bundestagswahl 2005 als Verliererin dastand. Mit der Hoffnung auf 40 Prozent plus gestartet, war sie mit 35,2 Prozent
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