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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie
Autoren: Bass jefferson
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Sie haben einen sehr cleveren Deputy.«
    Beide Männer starrten mich erstaunt an. Ich stürmte voran. »Ich habe auf dem Weg hier rauf gekotzt wie ein Reiher. Fast wäre ich ohnmächtig geworden, da hat sich Ihr Deputy hier an einen Artikel über die Reisekrankheit erinnert, den er mal irgendwo gelesen hat, und hat mich gefragt, ob ich nicht ein Stück fahren wollte, um zu schauen, ob das was nützt.« Kitchings schaute von mir zu Williams und wieder zurück. »Hat mich augenblicklich kuriert. Was für ein Glück, denn wenn nicht, hätte ich eine Woche unter dem Baum da drüben gelegen, bis mein Kopf wieder aufgehört hätte, sich zu drehen.«
    Ich sah, dass aus den Hirnwindungen des Sheriffs eine Frage aufstieg – die vermutlich etwas mit der medizinischen Handbibliothek seines Deputys zu tun hatte –, also legte ich, bevor die Diskussion eine bibliographische Wendung nehmen konnte, einen anderen Gang ein. »Sheriff, ich erinnere mich nicht, Sie in irgendeinem meiner Anthropologie-Seminare an der Uni gesehen zu haben«, sagte ich. »Stimmt das?«
    Er wurde rot und schüttelte den Kopf, plötzlich ganz der Student, der von einem Professor ausgehorcht wurde. »Ähm, ja, Sir, ich bin einfach nie dazu gekommen. Aber einmal war ich doch in Ihrer Vorlesung. Da haben Sie die Dias von der Feuerwerksexplosion gezeigt.«
    Eine illegale Feuerwerksfabrik im Südosten von Tennessee war eines Tages mit einem mächtigen Knall in die Luft geflogen und hatte dreizehn Menschen – in rund fünfzig Einzelteilen – durchs Dach der Scheune gepfeffert, wo Schießpulver mit Pigmenten vermischt worden war. Es war ein grausamer Unfall, aber es war auch eine faszinierende forensische Fallstudie, eine selbstgemachte Massenkatastrophe. Bevor ich meinen Studierenden die Dias des Gemetzels zeigte, warnte ich sie immer eine Woche im Voraus, dass die Bilder schrecklich sein würden, und gab ihnen die Möglichkeit, diese Vorlesung – diese eine Vorlesung im ganzen Semester – ausfallen zu lassen, ohne negative Folgen befürchten zu müssen. Am Tag der Vorlesung war der Hörsaal dann jedes Mal gerammelt voll – alle mussten stehen, darunter zahlreiche Studierende, die diese Vorlesung normalerweise gar nicht hörten. Beim ersten Mal war ich überrascht; danach rechnete ich damit. Wenn ich klug gewesen wäre, hätte ich jedes Jahr Eintrittsgelder erhoben und mich dann früh als reicher Mann zur Ruhe gesetzt.
    »Das war ein interessanter Fall«, sagte ich. »Ich glaube, am Ende hatten wir alle wieder richtig zusammengesetzt, aber als wir am Anfang die ganzen Arme und Beine aufstapelten, war ich mir nicht sicher, ob wir das hinkriegen würden.«
    Williams war jetzt vermutlich in Sicherheit, also beendete ich den Smalltalk. »Was kann ich für Sie tun, Sheriff? Ihr Deputy hier sagte, es sei ungeheuer wichtig, aber er hat mir nicht verraten, um was es geht.«
    »Ich habe eine Leiche, die Sie sich ansehen müssen.«
    »Das dachte ich mir schon. Im Leichenschauhaus?«
    »Leichenschauhaus?« Er schnaufte. »Doc, das Einzige, was hier bei uns auch nur entfernt an so was erinnert, ist die begehbare Kühlkammer fürs Bier im Git-N’-Go.« Er und Williams lachten über die Vorstellung, auf Bud-Light-Kästen könnte eine Leiche aufgebahrt sein. »Die Leiche ist noch da, wo wir sie gestern gefunden haben.«
    Er lächelte über die Bestürzung in meiner Miene. »Keine Sorge, vierundzwanzig Stunden länger oder kürzer an diesem Ort schaden niemandem.« Er zwinkerte an mir vorbei Williams zu, und Williams lachte wieder, diesmal jedoch nicht über das, was Kitchings gesagt hatte, sondern über das, was er nicht gesagt hatte. Er lachte mit der Erleichterung eines Kindes, das beim Nachhausekommen von der Schule statt der erwarteten Schläge einen Keks bekommen hat. Und darüber musste auch ich lächeln.

3
    »Okay, Boss, aufsitzen und ausrücken.« Kitchings schwang ein Bein über sein Gefährt, und Williams und ich taten es ihm nach. Ich drückte den Starterknopf des Geländemotorrads, und der Motor der Honda erwachte schnurrend zum Leben. Sie hatten mir die Wahl gelassen: bei Williams hintendrauf zu sitzen oder selbst zu fahren. Ich war an diesem Tag schon mal bei Williams mitgefahren, und das hatte mir nicht besonders viel Spaß gemacht, also bat ich um eine eigene Maschine.
    Ich war noch nie eine Enduro gefahren, hatte aber Jugendliche mit ihnen über die Standspur von Schnellstraßen oder querfeldein brettern sehen und dachte mir, so schwer könne das nicht
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