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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie
Autoren: Bass jefferson
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nachdem Kitchings den Strafverfolgungsbehörden beitrat, wurde sein Chef, der damalige Sheriff, bei einer mondbeschienenen Schießerei am Rand einer zwei Morgen großen Marihuana-Pflanzung getötet. Pot war, wie Außenstehende immer wieder mit Erstaunen hörten, die wichtigste Feldfrucht in Cooke County, mit einigem Abstand gefolgt von Tabak. In der kühlen, feuchten Gebirgsluft hatte Marihuana ideale Wachstumsbedingungen; und meine Kollegen von der Polizei sagten, dass das Marihuana aus dem Cooke County tatsächlich stärker sei als das aus Mexiko oder Kolumbien. Man brauchte kein großes Feld, um gutes Geld zu verdienen, und die schwer zugänglichen Hügelketten und Täler gaben Bauern genau die Zurückgezogenheit, die einst auch die Schwarzbrenner zu schätzen gewusst hatten. Doch ab und zu flog eine der Pflanzungen auf, und ab und zu wurde jemand erschossen – auch wenn das normalerweise nicht der Sheriff war.
    Bei der Nachwahl, die abgehalten wurde, um den Posten wieder zu besetzen, besiegte Kitchings seinen Mitbewerber – einen örtlichen Unternehmer – so leicht, wie er einst Möchtegern-Tackler besiegt hatte. Das vergangene Jahrzehnt hatte er darauf verwendet, das Büro des Sheriffs in die moderne Zeit zu überführen. Mit dem Geld, das bei ungezählten Drogenrazzien beschlagnahmt wurde, kaufte er eine neue Fahrzeugflotte: Geländelimousinen, die mit den zerfurchten Straßen, die das Land durchzogen, zurechtkamen; geländegängige Motorräder, mit denen man angeschwollene Bäche durchqueren und Marihuana-Pflanzungen im Gebirge erreichen konnte; sogar einen Hubschrauber, von dem aus er sein Gebirgsreich aus der Luft überwachen konnte, mit seinem Bruder, Chief Deputy Orbin Kitchings, einem ehemaligen Hubschrauberpiloten der Armee, am Steuer.
    Trotz seiner Erfolge und obwohl fast zwanzig Jahre verstrichen waren, war Tom Kitchings nie ganz über seine Verletzung beim Football hinweggekommen. Er hinkte leicht und war in dem Punkt äußerst empfindlich. Und auch wenn er in Cooke County so weit gekommen war, wie man dort nur kommen konnte, war das im allerwörtlichsten Sinne doch meilenweit entfernt von dem, was er als Star der National Football League hätte erreichen können.
    Nichts davon wusste ich aus erster Hand. Alles, was ich über Tom Kitchings wusste, stammte von Fans der Tennessee Volunteers wie Jeff und Polizeikollegen wie Art Bohanan, Kriminalist bei der Polizei von Knoxville. Im Gegensatz zu allen anderen Sheriffs im Osten von Tennessee hatte Kitchings mich noch nie bei einem forensischen Fall hinzugezogen. Nicht, dass mir das etwas ausmachte. Nach dem zu urteilen, was ich von Art gehört hatte, bekam man, wenn man in Cooke County in einen Fall verwickelt wurde, leicht das Gefühl, man habe es mit Schlangen zu tun. Dabei war es nicht nur Art, sondern auch anderen Beamten vom Polizeirevier Knoxville nicht ganz klar, was in Cooke County giftiger war: die bösen Jungs in den zerbeulten Pick-ups oder die guten Jungs in ihren Geländelimousinen und Hubschraubern. Nichts war sicher; alles war möglich.
    Ich hatte reichlich Zeit, über all das nachzudenken, während der Cherokee auf der Interstate 40 nach Osten fuhr und das breite Tal des French Broad River durchquerte. Kurz bevor die I-40 ins Herz der Appalachen führte, nahm Williams eine Abfahrt und fuhr links auf eine Landstraße, die so kurvenreich war, dass mir ein Korkenzieher im Vergleich dazu gerade vorkam.
    Die Straße hatte eine dicke gelbe Mittellinie, doch Williams fuhr, als gehörten beide Straßenseiten ihm ganz allein, und schlingerte von einer Seite zur anderen. »Ist das hier eine Einbahnstraße?«, fragte ich gegen besseres Wissen, aber in der Hoffnung, er würde den Hinweis verstehen und sich an die rechte Straßenseite halten.
    »Einbahnstraße?« Er lachte entspannt. Jetzt waren wir auf seinem Terrain, nicht mehr auf meinem. »Nein, aber man muss die Kurven schneiden, sonst kommt man nie dahin, wo man hinwill.« Um das zu demonstrieren, nahm er beide Hände vom Steuer, und der Wagen schoss hundert Meter geradeaus, während die Mittellinie sich unter uns hindurchschlängelte. »Nachts ist es leichter, da sieht man die anderen Autos kommen.« Er fuhr nach links, um eine enge Kurve an der Innenseite zu nehmen. »Außer natürlich, sie haben kein Licht an. Ein- oder zweimal im Jahr gibt’s hier nachts böse Frontalzusammenstöße.«
    Ich versuchte, länger über das Gesagte nachzusinnen, doch da die Straße noch kurviger wurde,
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