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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie
Autoren: Bass jefferson
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einem anderen Stern. »Zwanzig Kilo an einem Tag, wenn die Leiche richtig dick ist. Maden sind wie junge Männer: einfach unersättlich.«
    Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, grinste aber dabei. Endlich. »Dann liegen hier auf dem Gelände wirklich überall Leichen?«
    »Überall auf dem Gelände. Und darunter auch. Der Betonstreifen, auf dem Sie gerade Ihren Cherokee geparkt haben? Zwei Leichen drunter. Mittels Bodenradar beobachten wir, wie sie verwesen.« Er wirbelte, plötzlich wieder voller Panik, zu seiner Geländelimousine herum.
    »Keine Sorge«, sagte ich lachend, »denen können Sie nicht mehr schaden, und die sind auch nicht sauer, weil Sie auf ihnen parken.« Ich hätte ihm am liebsten einen Stoß in die Rippen versetzt und »Buuhu!« geschrien, wie ich es zuweilen bei nervösen Studenten tue, aber ich widerstand der Versuchung. »Entspannen Sie sich, Junge. Atmen Sie tief durch – oder vielleicht auch nicht ganz so tief, wenn ich es mir recht überlege. Betrachten Sie sie als Forschungsgegenstände, nicht als tote Menschen.« Ich machte um der Wirkung willen eine Pause, bevor ich mein dramatisches Schlussargument lieferte. »Was Sie hier sehen, ist forensische Wissenschaft in Aktion.« Damit langte ich nach unten und zog mit einem schwungvollen Ruck das Messer aus dem Rücken meines Forschungsgegenstands. Es löste sich mit einem nassen, saugenden Schmatzen. Ein Klumpen purpurroter Schmiere schoss in hohem Bogen auf den Deputy zu und landete auf seinem linken Schuh, wo er feucht zitternd liegen blieb.
    Diesmal fing ich ihn auf, bevor er zu Boden ging.

2
    Deputy Williams, der immer noch aussah, als wäre er einem Geist begegnet, lenkte den Cherokee durch das Parkplatz-Labyrinth der Universitätsklinik, die gleich neben dem Gelände der Body Farm lag. »Ich bin ein guter Nachbar für ein Krankenhaus«, scherzte ich mit Williams. »Wer zu spät zur Arbeit kommt, muss drüben bei der Body Farm parken. Also sehen die Krankenhausangestellten alle zu, dass sie eine halbe Stunde zu früh zur Arbeit kommen.« Seiner Miene nach zu urteilen würde er dort sogar jeden Tag mindestens eine Stunde zu früh auf der Arbeit erscheinen.
    Wir verließen den Krankenhauskomplex und fuhren auf eine sechsspurige Schnellstraße, um auf einer hoch aufragenden Spannbetonbrücke den Tennessee River zu überqueren. Zu unserer Rechten bot die Brücke einen Panoramablick über den Campus der University of Tennessee, der sich am nördlichen Flussufer über gut drei Kilometer erstreckte. Zur Linken glitt der Blick von den Milchkühen am nahen Flussufer zu den Villen auf der gegenüberliegenden Seite, welche die höher gelegenen Ufer des Fort-Loudoun-Stausees säumten.
    Der Fort Loudoun Lake – Ortsansässige nennen ihn wegen der vielen Schadstoffe und Abwässer auch »Fort Nasty« – gehört zu einer Kette von Stauseen entlang des 1049 Kilometer langen Tennessee Rivers. Der Tennessee River beginnt in der Tat nur wenige Kilometer stromaufwärts von der Body Farm am Zusammenfluss von Holston River und French Broad River. Ein kurzes Stück durch die Innenstadt von Knoxville und an der Universität vorbei verläuft der Fluss schmal und schäumend. Direkt hinter der Betonbrücke, die Williams und ich gerade überquerten, macht er dann eine schwungvolle Biegung nach links und wird langsamer und breiter, gezähmt durch den Fort-Loudoun-Staudamm fünfundsechzig Kilometer flussabwärts. In dieser ausholenden Biegung befindet sich die Rinderfarm der Universität und an ihrer Außenseite, am nordwestlichen Ufer, das Wohnviertel Sequoyah Hills, Knoxvilles reichstes Viertel. Der Blick von den Villen über das Wasser zu der Farm in den Hügeln ist atemberaubend, doch dafür müssen die Bewohner neben ihren riesigen Hypotheken noch einen weiteren Preis zahlen: An sengend heißen Tagen, wenn der Wind sanft aus Osten weht, baden die schönsten Villen von Knoxville im scharfen Aroma von Rinderdung, sehr selten und sehr schwach überlagert noch von einem Hauch menschlicher Verwesung.
    Williams bog nach rechts ab, wo die Schnellstraße sich mit der Interstate 40 kreuzte, und lenkte uns in den kriechenden Verkehr auf der I-40 East durch die Innenstadt von Knoxville. Im Schritttempo rückten wir an den nie endenden Reparaturarbeiten an der Fernstraße vorbei und hatten reichlich Zeit, Knoxvilles bescheidene architektonische Silhouette zu bewundern – zwei dreißigstöckige Banktürme, ein klotziges presbyterianisches Krankenhaus, einige
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