Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anatomie Einer Nacht

Anatomie Einer Nacht

Titel: Anatomie Einer Nacht
Autoren: Anna Kim
Vom Netzwerk:
draußen liegen gelassen, in der Pfütze, in der sich ihr Haus spiegelt, so hart ist das Wasser, so glatt, ein deutliches Zeichen, dass er nicht mehr willkommen ist.
    Dies ist ihre dritte Trennung, und er weiß nicht, ob sie ihn dieses Mal wieder aufnehmen wird, wenn sie sich beruhigt hat, vor allem ist er nicht sicher, ob er wieder aufgenommen werden will. Er schnippt die Asche auf die Erde und setzt sich neben die große Trommel, deren Haut eingerissen ist. Um seinen Hals trägt er die Walflossen-Amulette, die er tagsüber nicht verkaufen konnte, in der rechten Tasche klappern kleine Figuren aus Robbenknochen, Eisbären und Tupilaks, die ebenfalls zum Verkauf stehen, heute jedoch nahm ihm niemand etwas ab, er greift in die linke Jackentasche und wiegt die letzte Dose Bier in der Hand. Während er sie öffnet, überlegt er, wo er die nächste herbekommen wird, vor der Disko in einer halben Stunde, denkt er, dann warten alle auf den Einlass, und die Ungeduldigen werden schon begonnen haben zu feiern, von ihnen Bier zu schnorren ist einfach. Vorher, denkt er, wird er nachsehen, ob Malin Geld im Haus hat, er drückt die Zigarette aus, sie hat immer ein paar Kronen in der Schublade.
    Malins Haus ist blau, die Farbe hat sich in all den Jahren vom Holz gelöst, es sieht nun gewaschen aus, geschrubbt, abgeschminkt wie die Nachbarhäuser, deren Dächer mit Planen aus Plastik abgedeckt und deren Fundamente schwarz vor Nässe sind, das Holz morsch; das Geländer ist mit Seilen notdürftig repariert. Auf dem Dach steckt noch die Holzkonstruktion, die Stangen, die er befestigt hat, damit Malin Fische trocknen, einen Vorrat für den Winter anlegen kann. Er geht die Stufen hinauf zur Eingangstür und klopft. Wenn sie öffnet, wird er sich entschuldigen, denkt er, er braucht einen Vorwand, um in die Küche zu gehen und die Schublade neben dem Kühlschrank zu durchsuchen, dort bewahrt sie ihr Erspartes auf.
    Niemand antwortet. Es bleibt dunkel. Malin ist ausgegangen. Wahrscheinlich ist sie bei ihrer Mutter und heult sich aus, denkt Per, was kümmert es ihn, er drückt die Klinke hinunter, einen Dreck, er rüttelt an der Tür, abgeschlossen, er wird das Fenster benutzen müssen wie das letzte Mal, er grinst, als sie ihn hinausgeworfen hat wegen Ulrika, sie dachte, er hätte sie betrogen, nicht zum Zeitvertreib lieben, schrieb er sich damals hinter die Ohren, warum denn nicht, denkt er heute Nacht, springt auf die Erde und bückt sich nach einem Stein.
    Der Schatten löst sich widerwillig von der Dunkelheit, geht auf Jens’ Haus zu, verschwindet aus Sivkes Sichtfeld, und Sivke drückt ihr Ohr an das Fensterglas. Die Nacht saugt Laute aus der Luft, sie muss sich ihnen nähern, versuchen, sie mit der Ohrmuschel einzufangen –
    als sie Jens rufen hört.
    Was ist denn? Wo bleibst du?
    Sie schüttelt den Kopf, legt den Zeigefinger auf ihre Lippen.
    Schsch…
    Julie tritt unter dem Hausdach hervor, unter die Straßenlaterne, schlaksig, dünn, die Haare schulterlang, strähnig, das T-Shirt schmuddelig, und Sivke wundert sich, dass sie um diese Uhrzeit in einem dünnen Leibchen herumläuft, die Jacke um die Hüfte gebunden, dann fällt ihr ein, dass sie sie noch nie etwas anderes hat tragen sehen. Wieder hält sie ihr Ohr an die Scheibe, sie möchte hören, was als Nächstes geschieht: Nichts, noch immer vertreibt das Dickicht der Stille die Geräusche der Nacht.
    Sivke umfasst die Klinke, sie ist kalt, eisig, drückt sie im Uhrzeigersinn hinunter, das Fenster öffnet sich mit einem Seufzen, in diesem Moment dreht sich Julie um die eigene Achse, eine schnelle Drehung, die eine Spur in der Luft zu hinterlassen scheint, eine Spirale, und sieht Sivke entschlossen an, und die Wortlosigkeit, die diesen Blick umgibt, scheint ihn zu schützen, zu retten, als gehörte er gerettet.
    Erst als Jens zum dritten Mal fragt, was denn los sei, warum sie nicht antworte, winkt Sivke ihn zu sich ans Fenster.
    Vielleicht möchte sie zu dir?
    Er ignoriert ihre Frage, schnappt ihre Hand und führt sie ins Schlafzimmer, die erste Tür im Gang rechts, ein kleiner quadratischer Raum, der durch das Bett und den Kleiderschrank so gut gefüllt ist, dass er kaum Platz zum Umkleiden lässt.
    Eine Leine mit dazugehörigem Spielzeughund hing aus Pias Hosentasche, während Caroline, der falsche Zwilling, sie hatte sich Pias Gesicht nur geborgt, Jens bewachte und ihre Klauen in seine Hosenbeine grub. Martin griff nach dem nächsten Umzugskarton, Johanna half ihm, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher