Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
Dienstreisen machen musste, von niemandem abgeholt wurde und offenbar daran gewöhnt war, sich nur auf sich selbst zu verlassen.
    »Ich fahre in den Torbogen, dann haben Sie es nicht so weit bis zur Haustür«, schlug Sacharow vor.
    »Danke«, sagte die Frau erfreut und öffnete ihre Handtasche. »Ich lasse Ihnen meinen Ausweis als Pfand da, ja? Oder wollen Sie mit hochkommen?«
    »O nein.« Dima lachte spöttisch. »Heutzutage darf man sein Auto keine Sekunde aus den Augen lassen, sonst wird sofort alles abmontiert. Und extra abschließen, Spiegel und Scheibenwischer ab- und dann wieder anbauen, das dauert viel zu lange. Geben Sie mir den Ausweis.«
    »Ich beeile mich«, versprach die Frau und stieg aus.
    Dima wendete, parkte so, dass er anschließend bequem wegfahren konnte, stellte den Motor ab und schaltete auf Standlicht. Er saß im warmen Auto, rauchte und ging in Ruhe seine Pläne für den nächsten Tag durch. Um zehn musste er auf seiner Arbeitsstelle sein, um zwölf Uhr dreißig Vera von der Schule abholen und zur Großmutter auf die Datscha bringen und um fünf wieder zurück sein, denn um siebzehn Uhr siebzehn traf auf dem Belorussischen Bahnhof mit dem Zug Berlin-Moskau der nächste verrückte Klient ein, eingeschüchtert vom Gerede über die grassierende Kriminalität in der russischen Hauptstadt. Dima musste ihn ins Hotel bringen. Der Abend war bisher schwer zu planen: Der Chef hatte zu verstehen gegeben, der Klient sei heikel und würde möglicherweise außer dem Personenschutz auch noch andere Dienste benötigen, informativer Art, wie er es ausdrückte.
    Dima sah zur Uhr. Zwanzig vor drei. Er wartete schon fünfzehn Minuten. Seltsam. Sie wirkte nicht wie eine Betrügerin, außerdem hatte sie ihm ihren Ausweis dagelassen. Konnte sie kein Geld finden? Sie war auf ihre Dienstreise gefahren, und der versoffene Ehemann hatte alles vertrunken. Oder ihr hirnloser Sohn hatte alles für Kaugummi verplempert. Dima blätterte in ihrem Ausweis. Filatowa, Irina Sergejewna, Moskauerin, das Foto zeigte eindeutig sie, ein Stempel bestätigte die Eheschließung, einer die Scheidung, Meldevermerk. Kinder standen nicht im Ausweis, also hatte sie keine.
    Die Haustür ging auf, ein Lichtdreieck fiel auf den Asphalt. Dima wollte schon die Scheibe herunterlassen, doch aus dem Haus kam ein Mann. Wie lange sollte er eigentlich noch warten? Dima schlug den Ausweis noch einmal auf, suchte auf dem Meldevermerk die Wohnungsnummer und stieg entschlossen aus.

Zweites Kapitel
    Am Montag erwachte Anastasija Kamenskaja wie immer wie zerschlagen; sie war eine richtige Eule, schlief erst spät ein, und früh um sieben aufzustehen war für sie eine qualvolle Prozedur. Nastja riss sich mühsam aus dem Schlaf und schlurfte mit bleischweren Füßen ins Bad.
    Mein Gott, sie sah scheußlich aus! Das Gesicht aufgequollen, Säcke unter den Augen – warum hatte sie auch gestern Abend noch zwei Tassen Tee getrunken, sie wusste doch, dass sie zwei Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr trinken durfte, sonst war am nächsten Morgen das Gesicht aufgedunsen. Ach, wie gern würde sie noch weiterschlafen!
    Nastja stellte sich unter die Dusche, drehte das Wasser an, erst heiß, dann kühl, und erwartete geduldig, dass ihr Körper aufwachte. Normalerweise dauerte das etwa zehn Minuten. Während sie sich träge die Zähne putzte, versuchte sie siebenunddreißig mit vierundachtzig zu multiplizieren. Vergeblich. Das schlaftrunkene Gehirn verweigerte die einfachsten Operationen. Sie vertauschte die Zahlen und versuchte es noch einmal. Es funktionierte. Dann multiplizierte sie dreistellige Zahlen. Der Aufwachprozess verlief erfolgreich, denn es klappte gleich beim ersten Mal. Und der letzte Test: Zehn schwedische Vokabeln. Diesmal nahm sie sich Küchengeräte vor. Sie konnte eigentlich kein Schwedisch, aber sie prägte sich gern einzelne Wörter in verschiedenen Sprachen ein, als Gehirntraining. Aus jeder europäischen Sprache kannte sie rund fünfhundert Wörter. Ihre Mutter entwickelte Computerprogramme zum Erlernen von Fremdsprachen, und alle ihre Ideen und methodi-schen Entdeckungen testete die gefragte Frau Professor Kamenskaja an ihrer Tochter.
    Beim neunten Wort merkte Nastja, dass sie fror – das Wasser war zu kalt. Sie strengte ihr Gedächtnis an, angelte aus dessen Tiefen das schwedische Wort für Sieb und griff schnell nach dem Handtuch.
    Die halbe Arbeit war getan, ihr Gehirn wieder funktionsfähig. Nun musste sie noch ihren Körper in Gang
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher