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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Autoren: Alexandra Marinina
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liebte, und holte ihren Uniformrock und die Bluse mit den Schulterstücken aus dem Schrank. So ist es besser, sagte sie sich, während sie tastend den Verschluß der dunkelgrauen Krawatte im Nacken suchte. Die schwarzen Schuhe waren unbequem und drückten unbarmherzig, aber für kurze Zeit war es auszuhalten.
    In Gordejews Büro erblickte sie drei fremde Männer. Zwei von ihnen saßen an dem langen Konferenztisch, der dritte stand am Fenster, dort, wo Knüppelchen selbst gern zu verweilen pflegte, wenn er nachdachte. Der Oberst saß hinter seinem Schreibtisch, mit undurchdringlichem, kaltem Gesichtsausdruck.
    »Darf ich bekanntmachen, Genossen«, preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Majorin Anastasija Pawlowna Kamenskaja. Und das, Anastasija Pawlowna, sind unsere Kollegen von der Spionageabwehr.«
    »Rastjapin.« Einer der zwei am Tisch sitzenden Männer machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben, blieb aber mit dem Hintern am Stuhl kleben.
    »Kuzewol.« Der zweite Beamte sprang auf und spannte sich wie eine Saite, während er sich vorstellte. Nastja verblüffte sein sehr junges, offenes Gesicht mit dem verlegenen Lächeln. Offenbar war ihm die Unhöflichkeit seines Kollegen Rastjapin peinlich.
    Der dritte, der am Fenster stand, wandte sich um und ging ein paar Schritte auf Nastja zu.
    »Anatolij Alexejewitsch Grischin«, sagte er laut und deutlich und streckte seine Hand aus, die Nastja phlegmatisch drückte.
    Mit halbem Ohr hörte sie den Ausführungen der Kollegen von der Spionageabwehr zu. Gordejew unterbrach sie nach jedem zweiten Satz. Er war ganz offensichtlich verstimmt, stellte böse, giftige Fragen und machte unfreundliche Zwischenbemerkungen.
    »Im Grunde begann alles in dem Moment, in dem wir Steinberg aus den Augen verloren haben«, erklärte Grischin. »Er wollte schon vor langer Zeit ausreisen, bereits 1980, als er noch Aspirant war. Damals sagte man ihm, daß er sich das aus dem Kopf schlagen könne, solange er an wissenschaftlichen Projekten in der Rüstungsindustrie mitarbeiten würde. Steinberg tat das, was damals Tausende von Leuten taten, die man aus Geheimhaltungsgründen nicht ins Ausland ausreisen ließ. Er kündigte seine Stelle und nahm einen Posten als Hauswart an, um nach fünf Jahren, wenn die Geheimhaltungsfrist abgelaufen wäre, ausreisen zu können. Doch im Gegensatz zu vielen anderen wollte er nicht nur einfach ausreisen, sondern im Ausland seine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen, deshalb hat er die Zeit nicht nur Höfe kehrend und schlafend verbracht, sondern nebenbei sehr zielstrebig seine Absichten verfolgt. In dem wissenschaftlichen Forschungsinstitut, aus dem er ausgeschieden war, hatte er noch viele Freunde, und die gaben ihm gegen alle Verbote regelmäßig die neue wissenschaftliche Literatur zu lesen und führten in den Labors sogar kleine Experimente für Steinberg durch. Anfang 1985 reichte er erneut einen Ausreiseantrag ein, doch der KGB reagierte sehr unwillig. Man zog die Sache in die Länge, so gut es ging, aber im letzten Jahr erhielt er schließlich doch die Ausreiseerlaubnis. Es erschien ausgeschlossen, daß ein Mensch dreizehn Jahre lang illegal wissenschaftliche Studien betreiben könnte, ohne Zugang zu den entsprechenden Bibliotheken zu haben, zu den Labors, zur wissenschaftlichen Basis überhaupt. Aber für alle Fälle beschloß man, ihn im Auge zu behalten und gab deshalb der Außenstelle in Israel eine Order. Von dort erfuhren wir, daß Michail Markowitsch Steinberg die Zollkontrolle passiert hatte und danach spurlos verschwunden war. Er wurde gesehen, wie er das Flughafengebäude zusammen mit einem Mann verließ, dessen Beschreibung durchaus auf einen uns gut bekannten ausländischen Agenten paßt. Schließlich, nach längerer Zeit, stellten wir fest, daß Steinberg sich in Asien befindet, in einem der moslemischen Staaten.«
    Morgen kommt Denissow, um die Leiche seines Sohnes abzuholen, dachte Nastja. Wie soll ich ihm in die Augen sehen? Ich habe ihn um einen kleinen Gefallen gebeten, und was ist daraus geworden? Gott, es tut so weh! Ich habe Bokr drei Wochen gekannt, ganze drei Wochen, und es tut mir so weh, als hätte ich einen nahen Freund verloren. Und Vakar . . . Wie schrecklich das alles ausgegangen ist.
    »Der Einsatz seismischer Waffen«, fuhr Grischin fort, »kann für religiöse Fanatiker von großer politischer Bedeutung sein. Ein künstlich hervorgerufenes Erdbeben zu einem genau vorhergesagten Zeitpunkt und an einem genau
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