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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Autoren: Alexandra Marinina
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aber ich werde ihr auch nicht im Weg stehen und nicht versuchen, mich zu entziehen.«
    Nastja hatte den Eindruck, mit einem Automaten zu sprechen. Eine völlig monotone Stimme, ein leidenschaftsloses Gesicht, eine unbewegliche Gestalt, die vor ihr auf dem Stuhl erstarrt war. Aber es handelte sich hier nicht um einen Automatismus, der innerer Kälte und Gleichgültigkeit entsprang. Es handelte sich um die Ruhe eines Menschen, der die wichtigste Entscheidung seines Lebens getroffen hatte und der wußte, daß es kein Zurück mehr gab.
    Sie begleitete Vakar zum Ausgang. Eine Weile standen sie schweigend im kalten Herbstregen, Nastja schlug die Arme um ihren Oberkörper, zitternd vor Kälte in ihrem dünnen Pullover. Sie wollte dem General danken, aber sie wußte nicht, ob es angebracht war, einem Menschen zu danken, der sich soeben der Möglichkeit ausgeliefert hatte, hinter Gittern zu landen. Sie wollte nicht taktlos sein und wußte nicht, mit welchen Worten sie ausdrücken sollte, was sie fühlte. Schließlich streckte sie einfach ihre Hand aus. Vakars Händedruck war knapp und fest.
    3
    Bokr folgte mit seinem Wagen aufmerksam dem weißen Shiguli des Generals. Zum Glück hatte Vakar an diesem Tag ganz offensichtlich nicht vor, sein unheilvolles Vorhaben zu verwirklichen. Es war bereits fast Mitternacht, und er fuhr in die Richtung seiner Wohnung.
    Gewöhnlich stellte Wladimir Sergejewitsch sein Auto im Hof ab, unter den Fenstern seiner Wohnung. Bokr wußte das bereits und folgte ihm nicht bis in den Hof. Als der Shiguli hinter der Toreinfahrt verschwunden war, stellte Bokr seinen Moskwitsch ab und begab sich unauffällig zu der Stelle, von der aus, wie er bereits wußte, der Eingang des Hauses zu sehen war, in dem die Vakars wohnten. Er würde sich davon überzeugen, daß der General in seinem Haus verschwunden war, und dann so lange hier stehen und den Eingang beobachten, bis ihn die Nachricht erreichen würde, daß auch Jerochin zu Hause eingetroffen war. Er mußte wissen, daß das potentielle Opfer sich in der Sicherheit seiner Wohnung befand, erst dann konnte er die Beschattung des Jägers für heute beenden.
    Er stand da, an die Hauswand gelehnt, ein kleines Männchen in einem langen grauen Mantel und einer grauen Skimütze. In der Dunkelheit war er vor dem Hintergrund der schmutzigen Mauer nicht einmal aus drei Metern Entfernung zu sehen. Vakar schloß sein Auto ab, rüttelte noch einmal an der Tür, überprüfte, ob der Kofferraum abgeschlossen war, holte eine Zigarettenpackung aus der Tasche und schnippte mit dem Feuerzeug. Selbst in diesem Moment stand er aufrecht da, bewegungslos, mit militärisch gespannten Schultern. Er rauchte und blickte hinauf zu den erleuchteten Fenstern seiner Wohnung.
    Dann warf er die Zigarettenkippe weg und wandte sich zum Hauseingang. In diesem Moment erblickte Bokr zwischen den zahlreichen anderen Autos im Hof einen milchkaffeefarbenen Mercedes. Es war genau der, den auch Viktor Kostyrja fuhr. Bokr riß sich von der Hauswand los und schoß wie ein Blitz in den Hof. An dem Mercedes erkannte er die ihm bekannte Autonummer.
    »Bleiben Sie stehen!« rief er dem General hinterher, während gerade die Haustür hinter ihm zufiel. »Warten Sie! Vakar! Warten Sie!«
    Er rief sehr laut, wahrscheinlich hörte ihn der General, aber er kam nicht mehr dazu zu reagieren. Es fiel ein Schuß, und in der nächsten Sekunde stürzte Jerochin aus dem Hauseingang. Es fiel noch ein Schuß und noch einer.
    Mit aufheulendem Motor schoß der Mercedes hinaus aus dem Hof, auf die dunkle Straße. In dem menschenleeren Hof, auf dem schmutzigen, nassen Asphalt, lag ein kleines Männchen in einem langen grauen Mantel.
    4
    »Er liegt im Sterben«, erklärte der Arzt, dem Nastja durch den langen Krankenhauskorridor folgte. »Es wäre an der Zeit, daß die Verwandten erscheinen. Sonst ist es zu spät. In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihm?«
    »In gar keinem. Das heißt, ich wollte sagen, daß ich nicht mit ihm verwandt bin.«
    »Das ist mir klar«, sagte der Arzt mit einem finsteren Lächeln. »In seiner Brusttasche haben wir einen Zettel gefunden. ›Im Notfall bitte eine dieser Nummern anrufen . . .‹ Eine der zwei Nummern war Ihre. Sind Sie von der Miliz?«
    Nastja nickte, es kam ihr nicht einmal in den Sinn, den gesprächigen Arzt zu fragen, woher er das wußte.
    »Wir können ihn leider nicht operieren, er würde die Narkose nicht überleben. Die Verletzung ist sehr schwer, er hat enorm viel Blut
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