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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Autoren: Alexandra Marinina
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ihr lag. Sie hatte die Stellen, an denen die Verbrechen begangen wurden, mit Kreuzchen gekennzeichnet, es schien ihr, als sei sie gerade einer bestimmten Gesetzmäßigkeit auf der Spur, und sie fürchtete, diese Spur wieder zu verlieren.
    »Vakar, Wladimir Sergejewitsch. Soll ich einen Passierschein ausstellen?«
    »Wer?«
    »Vakar. Kennst du so einen?«
    »Soja . . .« Nastja flatterte vor Aufregung. »Du . . . er . . .«
    »Was ist mir dir, Nastja?« fragte die phlegmatische Soja verwundert.
    »Er . . . ich fürchte, er wird mich nicht finden. Ich komme gleich selbst hinunter. Soja, bitte, laß ihn nicht Weggehen. Ich bin schon auf dem Weg.«
    Sie sprang auf, stürzte hinaus auf den Korridor und vergaß sogar, ihre Tür abzuschließen. Während sie die Treppe hinunterstürmte, sah sie in ihrer Vorstellung den General vor sich, wie er mit den Schultern zuckte und wieder ging, weil er es sich anders überlegt hatte. Beim Überspringen der Stufen verknackste sie sich den Fuß, aber trotz des stechenden Schmerzes im Knöchel lief sie weiter.
    Endlich erblickte sie den General, der draußen vor der Anmeldung stand, und stürzte keuchend, mit rotem Kopf und zerzausten Haaren, auf ihn zu.
    »Guten Tag«, sagte sie mit erstickter Stimme.
    Vakar sah sie schweigend an.
    »Sie rauchen zuviel«, sagte er schließlich. »Sie können ja gar nicht mehr laufen, ohne außer Atem zu geraten. Schämen Sie sich nicht?«
    »Doch«, sagte sie, »ich schäme mich.« Sie war bereit, allem auf der Welt zuzustimmen, wenn er nur nicht wieder ging. »Ich werde mich bessern, Ehrenwort. Möchten Sie mit mir sprechen?«
    »Wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Gehen wir.«
    Sie brachte den General in ihr Büro und schloß die Tür von innen ab, damit niemand sie stören konnte. Wladimir Sergejewitsch saß sehr aufrecht auf dem Stuhl, aber in seiner Haltung war keinerlei Anspannung zu erkennen. Er war vollkommen ruhig.
    »Anastasija Pawlowna, ich möchte eine Aussage gegen Jerochin machen.«
    Das war’s also, dachte Nastja mit einem Gefühl unerklärlicher Traurigkeit. So einfach ist es.
    Sie holte wortlos ein Protokollformular aus dem Safe und begann, es auszufüllen. Sie brauchte Wladimir Sergejewitsch keine Fragen zu stellen, in den letzten Tagen hatte sie sich lange genug mit seiner Biographie beschäftigt und kannte seine Daten alle auswendig.
    »Am 29. September 1994 um 18.25 Uhr beobachtete ich, wie der Bürger Igor Petrowitsch Jerochin an einen Mitarbeiter der Miliz herantrat, der im Gebäude der Metrostation ›Taganskaja‹ seinen Dienst versah . . .«
    Nastja schrieb seine Aussage flink mit, ohne ihn zu unterbrechen, nur ab und zu stellte sie eine kurze Zwischenfrage zur Präzisierung des Sachverhalts. Sie begriff, daß Vakar nicht aus einer Augenblickslaune heraus zu ihr gekommen war. Er hatte seine Entscheidung sorgsam durchdacht und abgewogen, hatte den Text seiner Aussage mehrmals in Gedanken formuliert. Seine Sätze waren kurz, knapp und stereotyp amtlich, sie enthielten kein einziges überflüssiges Wort.
    »Nachdem Jerochin das Areal der Baustelle verlassen hatte, erblickte ich durch eine Einstiegsöffnung im Bauzaun den Milizionär, mit dem zusammen Jerochin die Metrostation verlassen hatte. Der Sergeant lag auf der Erde, seine Haltung und die vorhandenen Blutspuren ließen darauf schließen, daß ihm eine Schußverletzung beigebracht worden war.«
    Nachdem Vakar seine Aussage beendet hatte, schwieg er. Nastja hätte nicht zu sagen gewußt, ob er Erleichterung verspürte oder ob er überhaupt nichts empfand.
    »Wladimir Sergejewitsch, sind Sie sich über die Konsequenzen Ihrer Aussage im klaren?«
    »Welche Konsequenzen meinen Sie?«
    »Der Untersuchungsbeamte wird Sie auf jeden Fall bitten, Jerochin zu identifizieren, und er wird Sie fragen, ob Sie wirklich ganz sicher sind, daß es dieser Mann war, den sie an der Metrostation gesehen haben. Sie werden ihm sagen müssen, daß Sie sich nicht getäuscht haben können, da Sie Jerochin gut kennen. Daraufhin wird man Sie fragen, woher Sie ihn kennen. Wenn Sie dazu nichts sagen, wird es vermutlich Jerochin tun. Er wird Sie vielleicht nicht erkennen, aber Ihr Name ist ihm natürlich bekannt. Ist Ihnen klar, was das bedeutet?«
    »Ja, über alles das habe ich nachgedacht.«
    »Und?«
    »Ich bin zu allem bereit. Ich sagte Ihnen schon, daß ich für alles, was ich getan habe, die Verantwortung übernehme, sofern Sie Beweise gegen mich haben. Ich werde zur Beweisaufnahme nichts beitragen,
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