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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR
Autoren: Serhij Zhadan
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erschossenen Offizieren kennen, mit deiner Heimatstadt ist kein Staat zu machen, das wäre so ähnlich, als wollte man sich brüsten, aus der Gegend von Buchenwald zu stammen.
    In der Nähe der Stadt wurde zu Anfang der zwanziger Jahre eine Kommune gegründet. Die Kommune »Karl Marx«. Soweit ich weiß, entstand sie erst nach der Niederschlagung der hiesigen anarchistischen Bewegung. Zeitzeugen erzählen, daß die Kommunarden unsichere und ängstliche Typen waren und sich bei der einheimischen Bevölkerung keiner besonderen Beliebtheit erfreuten, sie lebten die Promiskuität unter ländlichen Bedingungen, der Landwirtschaft begegneten sie mit offener Verachtung und schlugen sich so durch, sie soffen wie die Löcher und kompromittierten damit in den Augen der Zeitgenossen die Idee des kommunistischen Zusammenlebens oder zumindest das, was diese dafür hielten.
    Am Morgen machten wir das Heimatmuseum ausfindig. Es hinterließ einen jämmerlichen Eindruck: die besagten Veteranenporträts, ein Panzermodell, eine Patronenhülse, sicher von der einzigen Patrone, die überhaupt verschossen worden war, im Museum gab man uns die Adresse des örtlichen Heimatforschers und sah uns lange nach, mit einem von Ekel erfüllten und ungläubigen Blick. Auf den Heimatforscher mußten wir etwa eine halbe Stunde warten, er war gerade in die Lokalredaktion gegangen, um ein weiteres Opus über die Geheimnisse der Heimat abzuliefern. Er behandelte uns mit fröhlicher Geringschätzung, ah, sagte er, da rücken wieder die Zeitungsfritzen an, ein älterer Mann mit linken Ansichten über das Leben und die gesellschaftliche Entwicklung, er erzählte bereitwillig über Machnos Aufenthalte in der Stadt und verkaufte uns zwei Exemplare seiner russischen Broschüre »Es war Bürgerkrieg«. Machno ist immer in dem letzten Gebäude abgestiegen, verkündete er, um im Falle eines Falles schnell zu entkommen. Er nannte uns die Adressen, wo Machno sich aufgehalten hatte, bat um Entschuldigung und war auch schon verschwunden, wieder in Richtung Redaktion, um ein neues Opus abzuliefern, vermutlich.
    Wir fanden die gewünschten Adressen, gingen die stille Hauptstraße entlang und kamen zum erwähnten Vergnügungspark. Zwischen Schaukeln und Karussells standen zwei merkwürdige Denkmäler: das eine, für das erste Arbeiterregiment, schmückte eine drei Meter hohe Infanteristenfigur, hinter dem Rücken des Infanteristen hatten die Bildhauer den Kampfweg des Regiments nachgezeichnet, der weder lang noch verschlungen war, von einem Weg des Sieges konnte also kaum die Rede sein, eher wirkte es so, als hätten die Aufständischen das Regiment einfach durch die Steppe am linken Dnipro-Ufer gejagt, erst später versuchte man daraus eine Chronik der revolutionären Ereignisse zu machen; hundert Meter weiter, mitten im Park, stand ein Denkmal für die Kämpfer um die Sowjetmacht, das wie eine Vase aussah. Der Sockel trug einen roten Stern und einen merkwürdigen Text: »Ewiger Ruhm den Helden der Revolution – den Steinmetzen der neuen Welt«. So was schreiben nur Freimaurer, dachte ich, wieso gerade den Steinmetzen? Und was soll die Vase symbolisieren? Komisch, da errichtest du, sagen wir mal, die Sowjetmacht, läßt im ungleichen Kampf gegen das Kapital dein Leben, und als Lohn stellt man dir eine halb fertige Vase aufs Grab und bezeichnet dich als Steinmetz, komisches Schicksal für einen Sieger, total unlogisch, das ganze fiese Verschweigen der wirklichen Ereignisse, die Fälschung und Frisierung der Kampfchronik, in der von dem dichten Strom der historischen Ereignisse nur der verworrene und fragmentarische Weg des Arbeiterregiments übrig ist und man nicht einmal weiß, auf welcher Seite es gekämpft hat, und dann noch diese Vase, unter der wahrscheinlich der Regimentsschatz – kleine Goldkrönchen und konfiszierte Geldscheinchen – vergraben liegt, den die drei Meter hohen Gipskämpfer in Feldzügen und Pogromen eifrig zusammengetragen hatten, die Steinmetze der neuen Zeit, die Freimaurer der frühen Neuen Ökonomischen Politik, die ihren kurzen, aber schweren Weg über die Stätten fremder Kampferfolge absolvierten, siegreich Waren und sogar zu ihren heimatlichen Silos zurückkehrten – sie waren die Sieger und die Helden, und was blieb ihnen in dieser absurden Situation anderes übrig, als sich im Vergnügungspark einen Gral aus Gips zu errichten und auf den Endsieg der kommunistischen Ideen und das ehrende Gedenken ihrer Nachkommen zu hoffen, die dich
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