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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen
Autoren: Hans Kneifel
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Ausmaßen. Ein Ritter, der die mächtigen Arme ausstreckte und die winzige Gestalt umarmte, die zu ihm hinaufgetragen worden war. Die Umarmung war weit umgreifend, hart und tödlich, denn als diese Phantasiegestalt aus Nebel und Wassertropfen Maldra aus ihren fahlen Klauen entließ, war die junge Frau tot und zerschmettert.
    Obwohl die Krieger das schmetternde Geräusch nicht hören konnten, mit dem Maldra aufschlug und ein Loch im Boden hinterließ, zuckten sie zusammen. Sie hatten den Sturz gesehen und auch den fahlen Giganten, dessen Umrisse schwach und undeutlich, aber durchaus wirklich gewesen waren.
    Uinaho hob den Arm und zeigte auf den gestreiften Felsen, der mehr zu ahnen als zu sehen war hinter den Kolonnen der Wassersäulen und dem Staub, dem Regen und dem Nebel zwischen ihnen.
    Arruf nickte und holte Luft.
    Gerade, als er die Muskeln spannen und an der Seite Uinahos weiterrennen wollte, bemächtigte sich der Pfänder wieder seiner Augen.
    Arruf erblindete.
    Und er blieb stehen. Eine Handbreite neben ihm öffnete sich der Boden und entließ eine heulende, sich drehende und fauchende Säule aus Wasser, das ganz leicht gelb gefärbt war und nach Schwefel stank. Erst nach fünfzehn Schritten merkte der Ay, daß Arruf weder hinter ihm noch an seiner Seite rannte und sprang.
    Uinaho blieb stehen, als sei er gegen eine gläserne Wand gestoßen. Schnell drehte er sich um. Er erwartete, einen leeren Platz im roten Sand zu sehen, und hob den Kopf, damit er sehen konnte, wie Arruf von einer Wassersäule davongerissen und in die Höhe gewirbelt wurde, um ein Ende zu nehmen, das dem von Maldra gleich war. Eisige Kälte breitete sich über den Körper des Ays aus. Er schrie auf, als er erkannte, daß Arruf bewegungslos zwischen zwei Säulen stand. Von seinen Ellenbogen bis zu den wimmernd hochschießenden Wassermassen war der Abstand nicht größer als eineinhalb Handbreit.
*
    Er konnte sich nicht wehren.
    Noch nicht. Zu tief saß der Schrecken über diese unerwartete Blindheit. Regungslos verharrte Arruf. Der andere sah durch seine beiden Augen. Würde er die Gedanken und die Furcht ebenso klar empfangen können wie das Bild der hochwirbelnden Fontänen, dann würde der Fremde erkennen müssen, daß der andere – Arruf! – in tödlicher Gefahr war.
    Dann konnte er ihn umbringen, indem er mit dieser Fähigkeit spielte.
    Dann vermochte er ihn zu schonen, indem er sofort die Kontrolle über Arrufs Augenlicht abgab.
    Für lange Zeit, für eine Reihe hämmernder Pulsschläge, tat der andere nichts. Er weidete sich an den Qualen, die Arruf heimsuchten. Luxon-Arruf wagte es nicht, sich von der Stelle zu rühren.
    Necron dachte:
    MEIN FEIND IST IN DEN SPRIN­GENDEN QUELLEN GEFANGEN. NUR NOCH WENIGE HERZSCHLÄ­GE, UND ER IST TOT, UMGEBRACHT VON DER WUCHT DER TÖDLICHEN WASSERSÄULEN. DIE NOMADEN HABEN IHN HIN­EINGETRIEBEN. ER SCHEINT EIN MANN VON GROSSER ERFAH­RUNG UND VON BETRÄCHTLI­CHER LIST ZU SEIN, DENN BIS­HER HAT ER ÜBERLEBT. ICH MUSS IHM ZU HILFE KOMMEN. ER VERDIENT ES.
    Die Blindheit wich.
    Arruf sah durch die Augen seines Pfänders. Er stöhnte auf und rief:
    » Ich sehe, daß… «
    Nicht einmal Uinaho hörte ihn, geschweige denn, daß er ihn zu verstehen vermochte.
    DER YARL RENNT AUF DIE SPRINGENDEN QUELLEN ZU. ER NÄHERT SICH IN RASENDER GE­SCHWINDIGKEIT DEN NOMADEN VOM STAMM DER ELEJIDER. KIN­DER, FRAUEN UND MÄNNER SE­HEN IHN UND SPRINGEN IN WAHNWITZIGER FURCHT AUS­EINANDER! DAS RIESIGE TIER MIT DEM ZINNENBEWEHRTEN DORF AUF DEM RÜCKENPANZER BAHNT SICH KRACHEND EINE BREITE GASSE ZWISCHEN DEN NOMADEN! ER RENNT AUF DIE SPRINGENDEN QUELLEN ZU.
    Dieser Mann dort: HROBON!
*
    Die Gedanken des Alleshändlers Necron:
    Ohne, daß ich weiß, wer mein Augengegner oder Augen-Duellant ist, könnte ich froh sein, wenn er während des nächsten Atemzugs von einer Wassersäule gepackt und hochgeschleudert und somit getötet werden würde. Dann hätte ich meine Augen wieder für mich allein. So unterhaltsam und faszinierend dieser zeitweilige Tausch der Augen ist und dessen, was sie sehen, so lästig und verderblich ist es auch. Aber… wie erfahre ich die Hintergründe? Wie kann ich einen zerschmetterten Toten befragen? Ich werde ihn sehen können, aber niemals erkennen. Ich ahne, daß es ein Mann ist. Ich weiß irgendwie, daß ich ihn kenne, daß ich mit ihm einst gesprochen habe. Die Art, wie er seine Augen gebraucht, wie er sie einsetzt, um sich Gewißheit verschaffen zu können, wie er den Blick hin- und
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