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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen
Autoren: Hans Kneifel
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satten, dunkelgrünen Weiden, die sich in größerer Entfernung von dem mehrfarbigen, triefenden Sand ausdehnten. Von den Nomaden ging inzwischen eine nachdrückliche Unruhe aus. Je mehr sich die Schlange aus dunkel gekleideten Elejidern, den Pferden und den wenigen Urs dem Rand des Talkessels näherte, desto größer wurde die Spannung, die sogar auf die Tiere übergriff. Ununterbrochen schleuderte eine unbekannte, unergründliche Kraft unter der Sandschicht die Fontänen in den zur Hälfte klaren Himmel. Arruf sah sich unentwegt um; irgendwo hinter ihnen stapfte unsichtbar der Yarl mit seinem Augenpfänder auf die Springenden Quellen zu.
    Wo war er?
    In drei, vier Stunden etwa, in der Zeit zwischen Mittag und Abenddämmerung, würde die Spitze der Nomadenkarawane die Fontänen erreichen. Dann galt es, mit allem Geschick zu versuchen, das eigene Leben zu retten.

5.
    Der Verstand, das Gehirn und die Phantasie waren merkwürdige Dinge, die sich keiner Gesetzmäßigkeit unterordnen ließen. Erinnerungen suchten ihn heim, und ebenso verblüffend war, was sich Arruf vorstellte, was er gerade in diesem Moment sehnsüchtig herbeisehnte wie nie zuvor:
    Ruhe und Gelassenheit, das Gespräch mit guten Freunden, Zeit zum Überlegen und jene Freiheit des Verstandes, die es ihm erlaubte, über seine Lage nachzudenken und darüber, wie er in diese Welt paßte. Seit den Tagen, an denen er Sarphand – seine Stadt! – verlassen hatte, gab es keinen Moment der Stille und der Ausgeglichenheit mehr. Ein Abenteuer hatte das andere, ein Schock den nächsten abgelöst. Er, Luxon oder Arruf, hatte immer nur handeln müssen, hatte den in unablässiger Folge neu auftauchenden Gefahren begegnen müssen. Nichts war da zu bemerken von Überlegung, von listenreicher Planung oder davon, daß er seinen Gegner richtig einzuschätzen vermochte. Stets war er von einer Gefahr in die nächste geschleudert worden. Und zum größten Teil war sein eigener Ehrgeiz schuld an den Verwicklungen, die sein Leben kennzeichneten.
    Dazu zählte auch die Lage, in die er sich selbst, seinen Freund Uinaho und die schutzlose junge Frau gebracht hatte.
    Die Pferde der Nomaden weideten, zusammen mit den Reittieren des anderen Stammes, auf den grünen, feuchten Grasflächen. Die Urs schlangen Grasbüschel und die Blätter der kleinen Sträucher in sich hinein. Eine doppelte Reihe von Nomaden stand hinter Uinaho, Maldra und ihm. Etwa achtzig Männer bildeten eine leicht gekrümmte Linie. Dahinter standen die verschleierten Frauen und blickten aus den schmalen Schlitzen ihrer Kopftücher auf die drei Verdammten. Die Kinder rannten sorglos zwischen den Beinen der Erwachsenen umher und spielten mit Steinen, mit Knüppeln und den abgelegten Waffen ihrer schweigenden Väter.
    Elejid befand sich in der Mitte seiner Krieger. Die meisten von ihnen hielten die gekurvten Bogen in den Händen und hatten Pfeile auf den gespannten Sehnen. Der Stammesführer drehte sich langsam herum und schrie mit voll tönender Stimme:
    »Wir werden sie nicht richten. Richten soll Illanen mit seinem unangreifbaren Spruch. Aber wir sorgen dafür, daß die Urteile vollstreckt werden.«
    Uinaho, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt waren, spuckte aus und knurrte haßerfüllt durch das Zischen und Rauschen der Quellen:
    »Er hört sich gern reden, dieser schwarzbärtige Urs-Treiber und Weiberschinder!«
    »Vergeude deinen kostbaren Atem nicht«, ermahnte ihn Arruf. Maldra stand zwischen ihnen und erstarrte jedesmal, wenn mit Fauchen und Heulen eine andere, neue Fontäne den Sand aufwirbelte und sich wie ein Baum selbst in die Höhe katapultierte.
    »Meine Sache!« beharrte der Ay.
    Hundert Fuß vor ihnen gab es eine scharfe Trennungslinie. Dort ging der dunkle Sand eines phantastisch gekrümmten Streifens in die Zone aus hellem Sand, Erde und Gras über. Überall glänzten im Licht der nachmittäglichen Sonne die Tropfen an den Halmen und Gräsern. Die Felsen warfen lange, schräge Schatten, ebenso wie die Springenden Quellen. Von allen Seiten wehte ein warmer Wind heran, der sich dort zu vereinigen schien, wo es die höchsten Strahlen gab. Übergangslos versiegte hier eine Fontäne, dort eine andere, dort drüben erhob sich eine Säule aus brausendem Wasser in die Luft, und an ganz anderer Stelle die nächste. Das Zischen wurde leiser und lauter, heller und dunkler, und von den wohl zwölf Dutzend verschieden hoher Wassersäulen ging ein Geräusch aus, das an das Heulen eines Rudels hungriger Wolfe
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