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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen
Autoren: Hans Kneifel
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und geformt wie Totenhände mit Knochenfingern begrenzten die Eisenbäume die Ebene. Schwach war geradeaus der Felsen des Seltsamen Wassers zu erkennen. Der Pfad, schwach markiert durch einen schmalen Streifen Sand und Kies, wand sich auf den Felsen zu und verschwand in einem waagrechten Nebelstreifen, in dem Lichttierchen zuckend funkelten.
    Die Hufe der Pferde berührten den Pfad immer nur kurz. Die schwarzen Fladen hatten nicht genügend Zeit, sich an die Hufe zu klammern und das lebende Fleisch anzugreifen. Das Geräusch der Felgen änderte sich. Es wurde leiser und dumpfer. Die Bänder der Federn knarzten, als der Schrein über eine Bodenwelle rumpelte. Einige Waren polterten schwach gegen die Wände der Fächer. Ein ätzender Regenguß hatte einige Teile der schönen Malerei auf den Flanken des Schreines weggewaschen.
    Die vordersten Zugpferde schwenkten scharf nach links, als Necron am Zügel zog. Ein Eisenbaum griff mit seinen unzerstörbar harten Zweigen nach Necron auf dem Kutschbock. Der Alleshändler duckte sich und riß den Peitschenstiel nach rechts. Von rechts und links schoben sich dünne Nebelflächen oder Rauchflächen heran, und die hastigen Bewegungen der Mooskröten beschleunigten sich. Das Knistern, mit dem sie sich bis zu den hochragenden, unglaublich knorrigen Wurzeln der Eisenbäume hinaufwagten, wurde lauter und drohender. Die Ohren der Pferde spielten aufgeregt. Der Pfad wurde wieder gerade, als sich die Nebelschichten hinter dem Schrein trafen und eine einzige, durchgehende Fläche bildeten. In dem weißen Rauch wetterleuchtete es lautlos. Fahle, blitzende Streifen zuckten auf und badeten für winzige Augenblicke die Vorderseiten der Eisenbäume. Furchtsam wieherte eines der hinten eingespannten Pferde.
    »Wir schaffen es schon, meine Braven! Keine Angst!« rief Necron laut.
    Oftmals hatte er an die wohl seltsamste Ware gedacht, die er je gehabt hatte, an Arruf oder Luxon, der angeblich ein Freund von Steinmann Sadagar war. Wie mochte das unergründliche Schicksal mit diesem sympathischen Burschen umgesprungen sein? Aus dem wabernden Nebel voraus schälte sich die Form des Felsens. Auch ich kannte Necron nicht sonderlich gut, aber ausreichend, um nicht mehr zu erschrecken.
    Eine Viertel Tagesreise hinter dem Felsen, in einem dürren Wald nahe der Quelle, lebte Lodar mit seinen stummen Ödlingen.
    Die Peitsche knallte.
    Der Schrein schwankte hin und her, als die Räder sich in den weichen Sand und in feuchten Schlamm senkten. Die Pferde stemmten sich in die Joche. Die Masse der Mooskröten nahm ab. In dem klebrigen Nebel voraus summten im Zickzack zahllose Insekten umher, die sich von dem feuchten Brodem ernährten und wie winzige Öllämpchen leuchteten. Der Weg durch die Düsterwelt war ein selten unterbrochener Alptraum, und auch der Fels des Seltsamen Wassers gehörte dazu. Der Weg führte haarscharf neben ihm vorbei.
    »Wir werden sehen, was er uns heute bietet, der Felsen!« rief Necron. Immer wieder redete er auf seine Pferde ein. Sie verstanden, nicht, was er sagte, aber sie hörten Beruhigung oder Angst aus dem Klang seiner Stimme heraus. Galt die Warnung von Miesel, dem Flederer noch?
    Als die vordersten Pferde zu scheuen anfingen, schnippte Necron mit der Peitschenschnur gegen ihre Hälse. Sie senkten die Köpfe und warfen sich in den Nebel hinein. Zwei, drei Herzschläge später erreichte der Nebel den Alleshändler.
    Feuchtheiße Luft, erstickend und voller unbekannter, aber schlechter Gerüche, legte sich wie eine Fessel um Necron. Von seinem Platz hoch über dem Rücken der sechs Tiere sah er über die Nebelschicht hinweg und konnte erkennen, daß sie nicht ausgedehnt war. Trotzdem würgte ihn ein schlimmer Brechreiz in der Kehle. Er versuchte, die Luft anzuhalten, und trieb mit kräftigen Schlagen der Zügel auf die Rücken der Pferde das Gespann zu schnellerer Gangart an.
    Necron wußte noch genau, daß dieser Teil seines Weges einigermaßen gerade verlief. Er orientierte sich an den weißen Ästen der Eisenbäume, die völlig unbeweglich aus der hellgrauen, von Funken durchschwirrten Masse hervorragten. Der Nebel wurde dichter, die klebrige Wärme, die er ausströmte, ergriff Necrons Füße, Knie und Schenkel, und über sein Gesicht rannen dicke Schweißtropfen. Er schüttelte sich, als er merkte, daß er müde zu werden begann. Die Kraft strömte förmlich aus ihm heraus, der Nebel mit den Leuchtinsekten haftete an der Deichsel, an den Wänden des Schreines, in Necrons
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