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An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)

An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)

Titel: An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)
Autoren: Antje Ippensen
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waren jedoch alle Lebensmittel als erstes aus den ehemaligen Slums der Augenwelt entfernt worden. Die Ex-Amtmänner und Ex-Amtfrauen hatten das tun müssen. Es sollte ein doppelter Akt der Reinigung sein. Und scheinbar hatten sie sich dem ohne Murren gefügt.
    Wie gern hätte Oi eine Million Chips gehabt, um mit Bonea in das feinste Restaurant auf dem New Boulevard zu gehen … Aber er besaß nur diesen einen Kupferchip, weil sein Gehalt auf CREDIT gelaufen war; und nun besaß er auch keinen CREDIT mehr. Alles war draufgegangen bei seiner Entlassung – für das Schmerzensgeld und den Schadenersatz, den er hatte leisten müssen. – Seltsam, er kannte Bonea erst seit ein paar Minuten, aber schon liebte er sie. Wie alt mochte sie sein, zwölf, dreizehn?
    Sie lachte rau. „Welcome to the looser-Welt, Two Vocals! – Fein, fein.“ Sie schien nicht im mindesten bekümmert über ihre mehr als miese Situation.
    Wieder hörte er das Klicken und Zischen ihres Feuerzeugs, roch das Gas, und offenbar zündete sie sich eine Rauchware an.
    „My last one“, erklärte sie.
    „Was ist es?“, fragte er.
    „Baumrinde. – Einen Zug?“
    „Nein, danke, Bonea … Baumrinde??“, wiederholte er entgeistert.
    „Ah, das knowd ihr hier nicht?! Mega-Stoff, echt. Manchmal von uns auch Survival-Cigarettes oder Survettes gejammt. Ohne sie we would never so lange durchhalten im Outland, sie suppressen den Hunger.“
    Im Outland! Jetzt ging Oi ein Licht auf (leider nur innerlich). Natürlich, sie kam von „da draußen“ … fast unglaublich! Manche Leute behaupteten, es gäbe überhaupt kein Outland, andere sagten, niemals würde es jemandem gelingen, die Grenze zu passieren … und die Menschen da draußen lebten angeblich in Horden . Das schien also zu stimmen.
    Ein Schweigen entstand, und als Bonea wieder sprach, klang ihre Stimme nicht mehr cool und abgebrüht, sondern ängstlich. „Right … right to say?“, brachte sie hervor, und Oi begriff, dass sie fragte, ob es richtig gewesen war, ihm das zu sagen. Dass sie von da draußen kam.
    Er nickte heftig. „Ja. Völlig right to say. Wir gehen – zusammen.“
    Sie klatschte wieder in die Hände, erleichtert … doch plötzlich stöhnte sie auf.
    „Was ist?“, fragte der blinde Riese besorgt.
    „Oh, nothing. Nur … meine bloody Wunde am Arm, blutet wieder a bit.“ Sie zog heftig an ihrer Survette, und der beißende Qualm hüllte Oi ein.
    „Du wurdest verletzt?“
    „Ja. Oh, nur ein Streifschuss. Ein Border hat seine nerves verloren. Glaub nicht, dass er mich killen wollte. – Sag mal, weißt du die Richtung, in die wir gehen müssen?“
    „Wie?“
    „Die Richtung, old man. Where to the city, north, west?“
    Die Frage bereitete Oi neues Kopfzerbrechen. Im Grunde hatte er sich in seiner Trostlosigkeit und Verzweiflung so ziemlich verirrt. Es war dumm gewesen, von seinem ehemaligen Arbeitsplatz nicht direkt zu Zone 49 zu gehen, sondern in die andere Richtung. Er überlegte, und Bonea wartete geduldig. – Der Wind. Der Wind hatte stetig geweht und war immer aus dem Norden gekommen. Ihm war das aufgefallen, weil Nordwind selten war. Er hatte ihn immer im Rücken gehabt. Also mussten sie jetzt gegen den Wind zurücklaufen. Ganz einfach.
    Sie wanderten los, und Bonea führte den Blinden so behutsam, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan.
    „We find out. Wenn wir da sind, wird uns etwas einfallen. No problem. Nur – niemand darf wissen, dass ich vom Outland.“
    Nach einer Weile erwiderte Oi: „Du hörst dich anders an als – wir. Du sprichst auch zuviel Slang.“
    Bonea staunte. „Too much Slang? Ich dachte, hier bei euch reden alle so.“
    „Nicht mehr … nicht mehr seit etwa einem Jahr.“
    „Schöner shit“, sagte Bonea. „Kannst du dir vorstellen, wie lange ich gelernt habe euren bloody hell misty slang? Wie difficult das war? Und nun this. For nothing. – Okay, ich werde also wenig reden, viel zuhören, wieder alles neu lernen. Ich schnell capito.“
    Oi lächelte. Trotz der klammen Nachtkälte war ihm warm ums Herz.

Abschnitt B
     
    „Senkblei“, die Kneipe mit dem unverwechselbaren Modergeruch, lag tief in den Eingeweiden der Stadt. Sie war ewig überfüllt, aber für Varian wurde stets ein Eckplatz an der Theke freigehalten. Er war Stammgast; hier trafen ihn seine Auftraggeber und hier trank er nach getaner Arbeit den nach Sumpf schmeckenden Whisky.
    Der junge Mann hatte sich im vergangenen Jahr sehr verändert. Sein kupferfarbenes Haar
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