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Amnion 1: Die wahre Geschichte

Amnion 1: Die wahre Geschichte

Titel: Amnion 1: Die wahre Geschichte
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Hagen das zum Vorwand, um ihm einen Speer in den Rücken zu schleudern.
    Aber noch im Tode ist Siegfried so stark, daß niemand ihm den Ring abnehmen kann. Zum Schluß erkennt Brünnhilde die Ehrlichkeit seines Verhaltens. Sie läßt ihm zu Ehren einen Scheiterhaufen errichten und gesellt sich darauf zu ihm. Als das Feuer den Ring schmilzt, können die Rheintöchter das Gold zurückerlangen. Die Geschichte endet mit der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung, während im Hintergrund Walhall in Flammen steht. So bricht die ›Götterdämmerung‹ an, der Untergang der Götter, die Menschheit wird von der despotischen Fremdherrschaft befreit und kann ihren eigenen Schicksalsweg beschreiten.
    (Die zugrundeliegende Logik ist stichhaltig, jedoch schwierig erklärbar. Nach dem Zerbrechen des Speers Wotans blieben die Götter im Effekt dank der Kraft von Alberichs Fluch am Leben. Sie durften nicht sterben. Der Besitzer des Rings konnte ermordet werden, aber jeder andere, der unter dem Fluch stand, war dazu verurteilt, hilflos danach zu schmachten und zu leiden, solange der Ring existierte und somit der Fluch Gültigkeit hatte.)
    Und was, könnte man fragen, hat das alles mit Weltraumstationen und Erzpiraten zu tun?
    Die Beantwortung fällt ziemlich leicht, wenn man vorher eine andere, konkretere Frage beantwortet. Wenn Angus Thermopyle ein Pirat ist, der menschliche Erzsucher und ihre Raumschiffe überfällt, an wen verscherbelt er dann seine Beute? Erz ist ja kein Bargeld, es ist relativ nutzlos, solange keine Verarbeitung stattfindet. Und Verhüttung erfordert viel Kapital. Piraten wie Angus und Nick könnte es nicht geben – und folglich hätte die VMKP kein Mandat zu ihrer Bekämpfung –, wäre für ihre unrechtmäßig angeeignete Ware kein Absatzmarkt vorhanden. Was ist es also für eine Welt, in der sich Die Wahre Geschichte abspielt? Befindet sich die Menschheit in einem inneren Zwist? Oder steht sie mit etwas anderem in Konflikt, das den Menschen feindlich gegenübersteht? Bezieht das VMKP-Mandat zur Bekämpfung der Raumpiraterie seine moralische Berechtigung nicht aus der Tatsache, daß die Piraten einen Ausverkauf der Menschheit betreiben?
    Hat man erst einmal solche Fragen aufgeworfen (im Kontext des Rings des Nibelungen), ist es nur noch ein kleiner Schritt von der Wahren Geschichte zum nächsten Buch, Verbotenes Wissen. Sobald ich mir die VMKP als auf Justiz gestützte Götter vorstellte, die das Science Fiction-Äquivalent eines zur Gestaltwandlung fähigen Zwergenvolks bedroht, war es nicht mehr weit bis zu dem wundervoll abartigen Einfall, mir Angus und Morn als Siegmund und Sieglinde auszumalen. Und von da an sprudelte meine Phantasie, wie schon angedeutet, als wäre ich auf eine Ölquelle gestoßen.
    Allerdings verdeutlicht es auch, wenn man Angus und Morn mit Siegmund und Sieglinde vergleicht, wie erheblich – bei aller Entlehnung – mein Rückgriff auf den Ring von der Vorlage abweicht. Der Ring liefert mir nicht die Handlung. Er ist einer der Keime, aus denen meine Geschichte sproß. Ich habe mich in mehrerlei Hinsicht weit von den erhaltenen Anregungen entfernt.
    Zum einen umfaßt Wagners Musikdrama Themen, die ich nicht aufgreifen möchte. Sein Werk enthält eine Form strukturellen Sexismus, die ich nicht goutiere. (Die Rheintöchter erinnern mich an eine Szene des Monthy Python-Films Die Ritter der Kokosnuß, in der ein Bauer König Arthur zuruft: »Aber Ihr könnt doch nicht im Ernst behaupten, Ihr hättet die Macht, nur weil so eine wäßrige Schlampe Euch ein Zepter in die Hand gedrückt hat.«) Und mich reizen keine Charaktere, deren Macht angeblich ihrer ›Unschuld‹ entspringt. Nach meinem Dafürhalten ist Siegfried nicht wegen seiner Unschuld furchtlos, sondern weil er fürs Leben zu dumm ist. Wagners Ansicht, daß Wissen Macht bändige, überzeugt mich nicht – wie man in den CHRONIKEN VON THOMAS COVENANT DEM ZWEIFLER nachlesen kann.
    Zum zweiten verändert die Idee ›Angus Thermopyle‹ die fundamentalen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Idee ›Richard Wagner‹. Auf gewisse Weise bedingt der Hintergrund die Geschichte, und der Hintergrund der Wahren Geschichte ist Science Fiction und keine Mythologie. Fast per Definition wird die Handlung dadurch von der archetypischen zur politischen Geschichte. Zwangsläufig wird daher jede Wertigkeit des Rings verändert. Das offensichtlichste Resultat ist, daß im Text die Verantwortung von Göttern und Zwergen auf Menschen übergeht.
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