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Amnion 1: Die wahre Geschichte

Amnion 1: Die wahre Geschichte

Titel: Amnion 1: Die wahre Geschichte
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Unerträglich verspottet von Schönheiten, die ihm unerreichbar bleiben, schwört er tatsächlich der Liebe ab, eignet sich das Gold an und schmiedet daraus einen Ring. Ehe irgend jemand merkt, was er treibt, hat er sich zum Herrn aller Zwerge aufgeschwungen, einen gewaltigen Schatz angehäuft und grübelt einen Angriffsplan gegen die Götter aus. So entsteht Unheil, dem nur ein Ende gemacht werden kann, indem die Rheintöchter das Gold zurückerhalten.
    Das Problem, das Wotan hätte vermeiden können, wäre er klüger gewesen – d.h. weniger machtgierig –, ergibt sich daraus, daß er, um Walhall möglichst billig hingestellt zu bekommen, mit den Riesen einen Handel eingegangen ist, den er gar nicht einzuhalten beabsichtigt. Als Gegenleistung für den Bau der Götterburg hat er ihnen Freia versprochen (obwohl sie für die Götter den Quell ihrer Unsterblichkeit manifestiert). Dieser Hintersinn ist eindeutig verfehlt, denn gerade Verträge und Übereinkünfte sind die Stütze seiner Herrschaft; aber er ist jung, stark und überheblich, er glaubt, sobald Walhall steht, könnte er die Riesen zur Annahme eines anderen Lohns überreden.
    Da jedoch hat er Pech. Die Riesen bestehen auf Freia, sonst sollen Walhall und die Götter sie kennenlernen.
    Ihnen ist selbstverständlich klar, daß die Götter ohne Freia in die Bredouille geraten; daß sie auf der vereinbarten Gegenleistung beharren, entspringt ihrem Wunsch, Wotan zu stürzen.
    Das ist für Wotan ein schreckliches Dilemma – bricht er die Vereinbarung, wird daraus für ihn eine Katastrophe, und es ist ebenso sein Verderben, hält er sie ein –, aber er ist immer noch nicht so klug, die ganze Tragweite zu überschauen. Anstatt sich den Konsequenzen des eigenen Tuns zu stellen, versucht er es mit einer Kompromißlösung. Vielleicht nehmen die Riesen, überlegt er sich, zum Lohn den Schatz Alberichs (und den Ring) an und verzichten auf Freia. Die Riesen willigen ein. Von dem Ring haben sie natürlich schon gehört.
    Zu diesem Zeitpunkt ist es Alberichs einzige Schwäche, daß er sich über den vollen Umfang seiner neugewonnenen Macht noch gar nicht richtig im klaren ist. Er versteht nicht, daß er selbst am Rande zur Göttlichkeit steht. Es lenkt ihn zu sehr ab, sich am Schatz und seiner Fähigkeit zu erfreuen, ungestraft das eigene Volk, die Nibelungen, zu schikanieren. Infolgedessen ist er anfällig – nicht durch Gewalt besiegbar, aber leicht durch List zu prellen. Dank der Gerissenheit Loges reißt Wotan sich durch Täuschung den Ring unter den Nagel und benutzt ihn unverzüglich, um Alberich zu unterwerfen und den Schatz zu vereinnahmen.
    So oder so hat Wotan damit eine selbstzerstörerische Tat verübt: er hat kein Recht auf den Ring, aber sofort erliegt er wieder seiner Machtgier. Seine Position wird allerdings zusätzlich unterminiert, als Alberich den Ring verflucht. Erst als er den Ring verliert, erkennt Alberich dessen gewaltige Bedeutung. In einer Apotheosis des Grams und der Wut ruft er:
    Gab sein Gold
    mir Macht ohne Maß,
    nun zeug’ sein Zauber
    Tod dem, der ihn trägt!
    Kein Froher soll
    seiner sich freun,
    keinem Glücklichen
    lache sein lichter Glanz!
    Wer ihn besitzt,
    den sehre die Sorge,
    und wer ihn nicht hat,
    den nage der Neid!
    Jeder giere
    nach seinem Gut,
    doch keiner genieße
    mit Nutzen sein!
    Ohne Wucher hüt’ ihn sein Herr,
    doch den Würger zieh’ er ihm zu!
    Dem Tode verfallen,
    feßle den Feigen die Furcht;
    solang er lebt,
    sterb’ er lechzend dahin,
    des Ringes Herr
    als des Ringes Knecht…
     
    Jetzt steckt Wotan in ernster Verlegenheit. Der Ring ist verwunschen, aber er ist ihm viel zu wichtig, als daß er bereit wäre, ihn aufzugeben.
    Doch der Ring ist der einzige Lohn, den die Riesen an Freias Stelle annehmen möchten. Ohne Freia sind die Götter dem Tod geweiht. Wotan kann den Riesen nicht einfach den Krieg erklären, weil die Gültigkeit der Vereinbarung in seinen Stab, den Quell seiner Macht, eingekerbt ist; gegen die selbst eingegangenen Verpflichtungen zu verstoßen, wäre sein Ende. Und die naturgemäße Ordnung der Existenz kann ausschließlich durch die Rückgabe des Rheingolds an die Rheintöchter wiederhergestellt werden; dadurch jedoch fiele Freia in die Hand der Riesen.
    Allmählich erkennt Wotan nun das ganze Ausmaß seiner Verstrickung. Mit ein bißchen Nachhilfe durch Erda, der Erdmutter (auch so ein altes Wesen aus der Vorzeit der Götter), hat er schließlich ein Einsehen: er muß den Ring abgeben.
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